Neue Publikation: Defending History? The Impact of Context and Speaker in Russia
Politische Versuche, die Darstellung der Vergangenheit zu kontrollieren, haben im einundzwanzigsten Jahrhundert Konjunktur. Russland beteiligt sich an diesem Trend, in dem es das Erbe der Beteiligung der UdSSR am Zweiten Weltkrieg legislativ und juristisch zu sichern versucht. Dadurch wird eine in der Gesellschaft bereits weit verbreitete Interpretation des Kampfes gegen den Nationalsozialismus institutionalisiert, was den russischen Fall zu einem "Härtetest" für die Beurteilung der Frage macht, wann die Verletzung einer historischen Norm als angemessen angesehen wird und welche Auswirkungen ein Erinnerungsgesetz im Verhältnis zu anderen Faktoren haben könnte.
Ein neuer Journalartikel von Félix Krawatzek und George Soroka, der in Perspectives on Politics | Cambridge Core veröffentlicht wurde, präsentiert nun die Ergebnisse von Vignettenexperimenten, die 2021 in Russland durchgeführt wurden. Der Artikel zeigt, dass der diskursive Kontext, in dem eine kontroverse Aussage über die Vergangenheit gemacht wird, eine Rolle spielt, wenn die Befragten beurteilen, ob die Person, die sie macht, bestraft werden sollte. Ebenso fanden die Forscher herraus, dass Kritik an einer historischen Norm eher akzeptiert wird, wenn sie von einem Mitglied der eigenen Gruppe kommt. Sie stellen auch fest, dass der Staat nur begrenzt in der Lage ist, die gesellschaftliche Einstellung zur Geschichte zu beeinflussen. Darüber hinaus fanden sie heraus, dass die Bereitschaft, staatliche Eingriffe in die Darstellung der Vergangenheit zu verteidigen, im Einklang steht mit der Unterstützung des politischen Systems. Letztere überschneidet sich jedoch nicht unbedingt mit den individuellen Geschichtsauffassungen, was den multidimensionalen Charakter des kollektiven Gedächtnisses unterstreicht.