Der „Tag des Sieges“ und Zentralasien
Am 9. Mai wird in den postsowjetischen Staaten traditionell der „Tag des Sieges“ begangen. Ankerpunkt der Feierlichkeiten ist eine große Militärparade in Moskau. Im letzten Jahr hatte die unerwartete Teilnahme zentralasiatischer Staatschefs als Gäste an der Militärparade für Überraschung und Spekulationen gesorgt. Was ist in diesem Jahr zu erwarten und wie ist es zu interpretieren? Darüber haben wir mit Zentralasien-Expertin Beate Eschment gesprochen.
Wie hat sich das Verhältnis zwischen den zentralasiatischen Staaten und Russland durch den Krieg gegen die Ukraine verändert und welche Rolle spielt der „Tag des Sieges“ am 9. Mai in diesem Zusammenhang?
Der umfassende russische Angriff auf die Ukraine hat in Zentralasien natürlich Ängste ausgelöst, dass dies nur Putins erster Schritt zur Schaffung eines von Russland geführten neuen Reiches der ehemaligen Sowjetstaaten sein könnte. Die einzelnen Staaten reagieren dabei unterschiedlich. Einige haben sich deutlicher von Putins Krieg distanziert als andere, viele haben mehr oder weniger erfolgreich nach neuen Partnern auf der Welt gesucht. Während es in den ersten beiden Kriegsjahren erstaunlich deutliche öffentliche Äußerungen auch von zentralasiatischen Präsidenten gab, ist inzwischen wieder mehr Vorsicht erkennbar. Letztlich sind alle Staaten Zentralasiens historisch, geopolitisch und wirtschaftlich, nach wie vor von Russland abhängig und der Kreml formuliert seinen Machtanspruch auf die Region wieder deutlicher.
Der „Tag des Sieges“ stammt aus der Sowjetzeit und wurde nach der Unabhängigkeit in den fünf zentralasiatischen Staaten genauso wie in Russland weiterhin mit vielen Reden und Feierlichkeiten samt einer Militärparade begangen. Bedeutung und Inhalt des Feiertages haben sich aber seitdem verändert. In Russland wurde der 9. Mai spätestens ab 2014 der vermutlich wichtigste politische Feiertag: ein nationalistisch geprägtes Ereignis, fixiert auf die russische Rolle für den Sieg und zugleich Anlass für anti-westliche Auslassungen. Diese haben sich, genauso wie die Bedeutung des Tages, seit Februar 2022 noch verschärft. In den zentralasiatischen Staaten ist die Entwicklung anders. In Turkmenistan wird der Tag begangen, ist aber nicht arbeitsfrei, in Usbekistan wurde er umgewidmet in einen „Tag der Erinnerung und Ehre“, Kasachstan hat ihm mit dem „Tag des Vaterlandsverteidigers“ am 7. Mai einen eigenen Feiertag des Militärs vorangestellt. Dort findet auch schon seit 2019 keine Militärparade mehr statt, die anderen Republiken sind diesem Beispiel inzwischen gefolgt. Dies wurde vom russischen Präsidenten teilweise heftig kritisiert, der sich hier als der Bewahrer sowjetischer (d.h. für ihn russischer) Geschichte und Tradition generiert und tatsächlich auch hier seine Machtansprüche zum Ausdruck bringt.
Wie ist es zu der überraschenden Teilnahme der zentralasiatischen Staatschefs an der Militärparade anlässlich des 9. Mais 2023 in Moskau gekommen und was ist in diesem Jahr zu erwarten?
Die Einladung ausländischer Staatsoberhäupter als Gäste der Moskauer Militärparade wurde in den letzten Jahrzehnten ganz unterschiedlich gehandhabt. An der Parade 2005 nahmen 53 ausländische Staatsoberhäupter teil. Der ehemalige Präsident Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, war 2016 und 2019 eingeladen, was damals noch als Auszeichnung interpretiert wurde. 2021 wurde dem tadschikischen Präsidenten Emomali Rachmon diese Ehre zuteil, 2023 war der kirgisische Präsident, der in Bezug auf den Ukrainekrieg einen vergleichsweise russlandfreundlichen Kurs fährt, schon langfristig eingeladen.
Offenbar verspürte man dann aber im Kreml, vielleicht ausgelöst durch den Drohnenangriff auf den Kreml am 3. Mai 2023, die Notwendigkeit, der eigenen Bevölkerung und der ganzen Welt zu zeigen, dass man Verbündete hat und sprach extrem kurzfristig weitere – unerwartete - Einladungen aus. Offensichtlich war Absage keine Option. Letztlich standen nicht nur die Präsidenten der fünf zentralasiatischen Staaten, teilweise entgegen anderslautender Ankündigungen, neben Putin, sondern auch zum ersten Mal sein engster Verbündeter, der belarusische Präsident Alexander Lukaschenka (und auch der armenische Präsident).
In diesem Jahr ist die Sache offensichtlich langfristiger geplant. Schon vor ein paar Tagen wurde vom Kreml mitgeteilt, dass alle fünf zentralasiatischen Präsidenten an der Militärparade teilnehmen werden. Neben ihnen wird wieder ihr belarusischer Amtskollege stehen, außerdem die Staatsoberhäupter von Kuba, Laos und Guinea-Bissau. Überraschungen sind nicht zu erwarten.
Welche Rückschlüsse auf die zwischenstaatlichen Beziehungen kann man aus diesen mehr oder weniger unfreiwilligen Moskaubesuchen ziehen?
Man kann die Teilnahme der zentralasiatischen (und vielleicht nicht nur dieser) Staatschefs an der Moskauer Parade als Ausdruck der Entwicklung der zwischenstaatlichen Verhältnisse sehen. Die Einladung nach Moskau wird heute sicherlich nicht mehr als Auszeichnung betrachtet, sondern als lästiger Pflichttermin. Die Teilnahme drückt nicht eine veränderte Position der zentralasiatischen Staaten aus, sondern ist in den meisten Fällen eine Anpassung an die aktuellen Machtverhältnisse. Natürlich ist es nicht unproblematisch neben Putin zu stehen, wenn er den Krieg gegen die Ukraine rechtfertigt und die Schuld dem Westen zuschiebt. Die Sache ist es aber aus zentralasiatischer Sicht angesichts der oben beschriebenen Abhängigkeit auch nicht wert, das Verhältnis mit Russland zu belasten. Deshalb sollte das Ereignis auch nicht überbewertet werden.