Expert*innenstimme

Georgiens Ausstieg aus dem EU-Beitrittsprozess

Von Julia Langbein 04.12.2024

Die Verlautbarung, dass die Regierung die Verhandlungen mit der EU über einen Beitritt bis Ende 2028 aussetzen werde, sorgt in Georgien für anhaltende Proteste. Julia Langbein ordnet den Schritt für uns ein und erörtert mögliche Reaktionen der EU.

Was sind die konkreten Folgen, die ein Stopp der Beitrittsbemühungen von Seiten Georgiens hätte?

Die Ankündigung des georgischen Premierministers Irakli Kobachidse, die Beitrittsverhandlungen mit der EU bis 2028 auszusetzen sehen viele Oppositionelle als einen kompletten Ausstieg aus dem EU-Beitrittsprozess. Dem widerspricht die Regierung zwar mit dem Hinweis, dass sie die Verpflichtungen aus dem Assoziierungsabkommen mit der EU weiter einhalten will, ohne dafür EU-Fördermittel anzunehmen, aber das ist aus meiner Sicht nur vorgeschoben. Das Ziel des EU-Beitritts ist in der georgischen Verfassung verankert. Mit der Formulierung, die Verhandlungen lediglich auszusetzen, versucht die Regierung eher, einen Verfassungsbruch zu umgehen. Zwar hatte die EU bereits im Juni 2024 die Beitrittsverhandlungen mit Georgien auf Eis gelegt und reagierte damit auf die Verabschiedung des Gesetzes gegen sogenannte ausländische Agenten. Doch dass die georgische Seite nun ihrerseits nachzieht, ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich die Regierungspartei „Georgischer Traum“ von der EU-Orientierung abwendet und eher nach Russland und China schaut.

Hinter allen Entscheidungen seitens der georgischen Regierung stecken die Interessen des Oligarchen Bidsina Iwanischwili. Seine Macht basiert auf der Kontrolle der Gerichte und der Erhaltung klientelistischer Netzwerke, die den gesamten georgischen Staatsapparat durchziehen. Mehr Transparenz und Rechtstaatlichkeit, die die EU fortwährend einfordert, würden Iwanischwilis Macht untergraben.

Welche Möglichkeiten hat die EU, auf das Verhalten der georgischen Regierung zu reagieren?

Neben Sanktionen gegen führende Politiker des Georgischen Traums, ist auch das Aussetzen der Visafreiheit für Reisen in die EU eine Option. Letzteres würde jedoch die Bevölkerung treffen und könnte von der Regierungspartei im politischen Diskurs als weiterer Beleg dafür verwendet werden, dass die EU Georgien eigentlich gar nicht haben will. Die EU muss die pro-europäischen Kräfte im Land weiterhin unterstützen und andererseits die Kosten des Ausstiegs aus dem EU-Beitrittsprozess für die politischen Eliten des Landes nach oben treiben. Gleichzeitig muss sie aber auch klar kommunizieren, unter welchen Bedingungen mögliche Sanktionen wieder zurückgenommen werden.

Insgesamt hängt die weitere Entwicklung in Georgien in erster Linie jedoch nicht von der EU ab, sondern von der Mobilisierungskraft und dem Durchhaltevermögen der georgischen Protestbewegung. Dass sich anders als bei den Protesten im Frühjahr gegen die Verabschiedung des Gesetzes gehen sogenannte ausländische Agenten nun auch Staatsbeamte offiziell anschließen, ist ein vielversprechendes Zeichen. Die Gefahr, dass die Proteste ähnlich wie in Belarus gewaltsam erstickt werden, ist trotzdem hoch.

Eine Mehrheit der Bevölkerung ist für eine EU-Perspektive für Georgien, gleichzeitig wäre die Partei Georgischer Traum sehr wahrscheinlich auch ohne Wahlfälschungen als stärkste politische Kraft aus den Parlamentswahlen hervorgegangen. Wie ist das zu erklären?

Es ist richtig, dass sich in Umfragen 80 % der georgischen Bevölkerung für den EU-Beitritt aussprechen. Aber wenn es um konkrete Fragen geht, z.B. um LGBTQ-Rechte, dann gehen die Meinungen auch innerhalb der Befürworter eines EU-Beitritts auseinander. Es gibt ein Stadt-Land-Gefälle. Die eine teilen liberale Werte, die anderen eher traditionelle Familienwerte. Zudem gab es unter der Partei „Georgischer Traum“ in den letzten Jahren ein zweistelliges Wirtschaftswachstum und auch wenn die Prognosen mittlerweile geringer ausfallen, verbinden viele mit der Partei einen bescheidenen, aber dennoch wachsenden Wohlstand. Und man darf nicht vergessen, dass Georgien – anders als die Ukraine und Moldau – gerade beim Handel immer noch enger mit Russland, Kasachstan und anderen Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten verbunden ist als mit der EU.

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Partei Georgischer Traum selbst in Umfragen von oppositionsnahen Instituten zwar keine absolute Mehrheit, aber durchaus um die 40 % der Stimmen gewonnen hätte. Trotzdem ist die Regierungspartei mit dem Ausstieg aus den EU-Beitrittsverhandlungen auch für ihre eigenen Anhänger einen Schritt zu weit gegangen, weshalb wir jetzt eine höhere Mobilisierung unter den Protestierenden sehen als nach dem Ausgang der Parlamentswahlen Ende Oktober.

 

Expertin

Leitung Forschungsschwerpunkt
Politische Ökonomie und Integration​​​​​​​