Parlamentswahlen in Russland
Zwischen dem 17. und 19. September wird in Russland unter anderem ein neues Parlament gewählt. Im Vorfeld kam es verstärkt zu Repressionen gegen Oppositionelle. Tatiana Golova forscht am ZOiS zu Protesten in den russischen Regionen und gibt im Interview ihre Einschätzung zur Situation im Land.
Ist das Ergebnis der Duma-Wahl deutlich vorhersagbar oder könnte es noch Überraschungen im Resultat geben?
Dass die Regierungspartei Einiges Russland (ER) trotz sinkender Zustimmung die Mehrheit der Sitze in der Duma bekommt, ist sicher. Offen ist allerdings, wie deutlich diese Mehrheit ausfällt, also wie viele Stimmen die sogenannte Systemopposition holen kann. Auch wenn sie vor allem zur Stabilisierung des politischen Regimes beiträgt, kann ein Erfolg ihre Eigenständigkeit fördern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) beispielsweise hat ihre eigene Kernwählerschaft und ist kein Retortenkind des Kremls.
Der Kreml ist in letzter Zeit besonders stark gegen die Nawalny-Bewegung und die Smart-Voting-Kampagne vorgegangen. Was ist die Idee hinter Smart Voting und welche Spielräume bieten sich hier noch?
Smart Voting soll die Wählerstimmen bündeln, indem eine Wahlempfehlung für die Kandidat*innenn ausgesprochen wird, die die besten Aussichten, haben gegen eine*n Kandidat*in von Einiges Russland ein Direktmandat zu holen. So sollen auch die Menschen zur Teilnahme motiviert werden, die keine Kandidat*innen für sich sehen oder den Wahlen unter den derzeitigen Bedingungen ganz fern bleiben wollen. Es setzt die Bereitschaft voraus, auch für Kandidat*innen zu stimmen, deren Parteien einem nicht sympathisch sind – um die Dominanz von ER zu schwächen.
Was macht diese Wahlen spannend?
Erstens sind sie ein Test für die Smart-Voting-Strategie und damit letztlich für die Mobilisierungsfähigkeit der Nawalny-Strukturen, die ja formell nicht mehr tätig sein können. Wenn sie es trotzdem schaffen, dass viele unterstützte Kandidat*innen gewählt werden oder zumindest Achtungserfolge erzielen, wäre das ein deutliches Lebenszeichen und eine Schlappe für das Regime.
Zweitens treten trotz der Repressionen unabhängige Kandidat*innen an (auch in den Regionen), die vorher Erfahrungen als Kommunalabgeordnete oder Aktivist*innen gesammelt haben. Sie führen zum Teil sehr interessante Kampagnen, die auch inzwischen so selten gewordene offene politische Räume anbieten. Das sichert ihnen allerdings noch nicht automatisch die Unterstützung durch Smart Voting, was auch zu Konflikten führt.