Rücktritt der Regierung in Moldau
Die Regierung um Moldaus Premierministerin Natalia Gavrilița gab am 10. Februar 2023 ihren Rücktritt bekannt. Der ukrainische Geheimdienst und die moldauische Präsidentin Maia Sandu warnen zudem vor einem aus Russland gesteuerten Umsturzplan in der Republik. Was ist los in Moldau? Dazu haben wir Nadja Douglas befragt.
Am 10. Februar gab Moldaus Regierungschefin Natalia Gavrilița ihren Rücktritt bekannt. Welche politischen Entwicklungen sind die Hintergründe dieses Schritts und wie geht es jetzt im Nachbarland der Ukraine weiter?
Im moldauischen Verfassungssystem hat der*die Staatspräsident*in zwar ein starkes, durch Direktwahl legitimiertes Mandat, aber wenig konkrete politische Macht. Die derzeitige pro-europäische und rechtskonservative Staatspräsidentin Maia Sandu, wie auch schon ihr sozialistischer Vorgänger Igor Dodon (wegen Korruptionsvorwürfen derzeit mit einem Ausreiseverbot belegt), versuch(t)en diese jedoch auszuweiten. Seit einigen Monaten schon gingen Gerüchte um, dass das Gavrilița-Kabinett auf Druck Sandus zurücktreten werde. Obwohl für Außenstehende die Bilanz nach etwa eineinhalb Jahren im Amt nicht unbeachtlich war (Diversifizierung der Energieimporte, Kandidatenstatus für einen EU-Beitritt, Aufnahme vieler Geflüchteter aus der Ukraine), ließen die nationalen Umfragewerte der Regierung zu wünschen übrig. Die Mehrheit in der Bevölkerung leidet unter den Begleiterscheinungen der multiplen Krisen: Steigende Inflation bedingt wirtschaftliche Not und allgemeine Unzufriedenheit. Gavrilița selbst wies in ihrer Rücktrittsrede darauf hin, dass sie den Fokus auf die wirtschaftliche Entwicklung gelegt hätten und es nun an der Zeit sei, die Sicherheit des Landes zu priorisieren. Der designierte neue Ministerpräsident Dorin Recean war Berater Sandus für nationale Sicherheit und Verteidigung, sowie zwischen 2012 und 2015 bereits Innenminister Moldaus. Der Zeitpunkt des Rücktritts ist nicht ganz zufällig gewählt. Einen Tag vor dem öffentlichen Kabinettsrücktritt wurde bekannt, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Präsidentin Sandu darüber informiert hatte, dass ukrainische Geheimdienste Informationen über einen russischen Plan zur Destabilisierung der politischen Situation oder gar Umsturz der amtierenden Regierung haben und diese bereits den moldauischen Kolleg*innen des SIS übermittelt hätten.
Welches Interesse könnte Russland an einem politischen Umsturz in Moldau haben?
Die moldauische Staatsführung hegte schon seit Längerem Misstrauen gegenüber diversen politischen Kräften im Land, die sie verdächtigte, im Interesse oder sogar im Auftrag der Russischen Föderation zu agieren. Dementsprechend hart gingen die Behörden in der letzten Zeit gegen unangekündigte Proteste vor und sperrten zeitweilig sechs Fernsehsender im Kampf gegen Desinformation und Propaganda. In ihrer Pressekonferenz am 13. Februar 2023 nannte Sandu Details zu den Umsturzplänen, die Angriffe auf Regierungsbehörden sowie Geiselnahmen vorsähen und erklärte, dass die Hinterleute sich auf kriminelle Gruppen im Inland stützten. Dabei zählte sie namentlich Anhänger*innen der Shor-Partei (Namensgeber Ilan Shor ist ein moldauischer Oligarch und Politiker, der nach Sandus Amtsantritt 2019 ins Exil nach Israel geflohen war und von dort aus die regierungskritischen Proteste orchestrierte), ehemalige Mitarbeiter*innen von Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitsdiensten sowie Personen, die noch immer enge Verbindungen zum ebenfalls geflohenen Oligarchen Vlad Plahotniuc unterhalten, der bis 2019 die politischen Entwicklungen im Land bestimmte. Die Ereignisse der vergangenen Tage stehen im Zusammenhang mit einer Aussage des russischen Außenministers Sergei Lawrow vom 2. Februar, in welcher er implizierte, dass Präsidentin Sandu nicht auf demokratischem Wege an die Macht gekommen sei und Pläne hege, Moldau mit Rumänien zu vereinigen und der NATO beizutreten. Er erklärte, dass der Westen willens sei, hinzunehmen, dass die Republik Moldau ein ähnliches Schicksal wie die Ukraine erfahren würde.
Welche Rolle spielt der De-facto-Staat Transnistrien auf dem Gebiet der Republik Moldau in Russlands Krieg gegen die Ukraine?
Transnistrien spielt eine eher unglückliche Rolle in dem komplexen Geschehen. Die offizielle Haltung der De-facto-Regierung gegenüber Russland hat sich nicht verändert, und doch fühlt sich der De-facto-Staat merklich unwohl in der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von einer kriegerischen Schutzmacht, deren Absichten auch für die engsten Verbündeten immer undurchsichtiger sind. Zudem befindet sich Transnistrien in einer neuen geographischen Situation, eingekeilt zwischen zwei EU-Anwärterstaaten. Seit Mitte letzten Jahres versucht die De-facto-Regierung deshalb Sicherheitsgarantien von den internationalen Partnern im 5+2 Prozess (Verhandlungsformat zur Lösung des Transnistrien-Konflikts) zu erhalten und wirkt bei seinen Vorstößen immer verzweifelter. Zu Beginn des russischen Angriffskrieges lag der Fokus der moldauischen Regierung darauf, eine Einbeziehung Transnistriens bzw. der gesamten Republik Moldau in die Kriegsgeschehnisse im Nachbarland zu vermeiden. Obwohl die Befürchtung nach wie vor besteht, dass Russland versuchen könnte, über Odesa hinaus eine Landbrücke und Verbindung zum transnistrischen Gebiet zu schaffen, nahm mit zunehmenden Verlusten aufseiten Russlands das Selbstvertrauen auf der moldauischen Seite zu. Man erhofft sich nun in Chișinău in absehbarer Zeit und mit Blick auf einen EU-Beitritt eine Reintegration von Transnistrien zu Konditionen, die in der moldauischen Hauptstadt und nicht in Moskau festgelegt werden, zu erreichen.
Dieses Interview gibt den Kenntnisstand vom 13.02.2023 wieder.