Expert*innenstimme

Treffen mit den zentralasiatischen Staatschefs in Berlin

Von Beate Eschment 28.09.2023

Am 29. September werden die Staatschefs der fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan auf Einladung von Bundeskanzler Scholz erstmals zu einem Zentralasien-Deutschland Gipfel in Berlin erwartet. Wir haben mit der Zentralasien-Expertin Beate Eschment (ZOiS) über die Hintergründe und Erwartungen dieses Ereignisses gesprochen.

Alle fünf zentralasiatischen Präsidenten kommen nach Berlin; das hat es noch nie gegeben. Hat das etwas mit veränderten geopolitischen Bedingungen durch Russlands Krieg gegen die Ukraine zu tun?

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat tatsächlich erhebliche Auswirkungen bis nach Zentralasien. Das betrifft vor allem das Verhältnis zu Russland. 2022 bestanden vor allem in Kasachstan Befürchtungen, die zweite Ukraine zu werden. Inzwischen ist eher ein Bedeutungsverlust Russlands zu beobachten. Der Kriegsverlauf und die internationale Aufmerksamkeit zeigen Wirkung. Allerdings können weder die Staaten der Region noch die internationale Gemeinschaft ein Interesse daran haben, dass Zentralasien sich von Russland abwendet, wie häufiger gefordert. Das gewachsene internationale Interesse bei gleichzeitig größerer Offenheit einiger zentralasiatischerer Regierungen führen nur dazu, dass die Russische Föderation nicht mehr die herausragende Rolle wie bisher spielt. Russland wird aber ein wichtiger Akteur in der Region bleiben, allerdings einer unter mehreren. Einige zentralasiatische Staaten, allen voran Kasachstan, haben aktiv Kontakt zu weiteren internationalen Partnern gesucht. Das hat nicht nur Folgen für Russland, auch Deutschland steht mit seinen Zentralasien-Interessen jetzt in Konkurrenz mit mehr anderen Staaten als noch vor drei Jahren.

Welche Interessen stehen denn von deutscher Seite hinter der Einladung?

Deutschland hat sich in seiner eigenen Wahrnehmung politisch von 1991 an besonders für Zentralasien engagiert, die jungen Staaten schnell diplomatisch anerkannt und sich dann zum Beispiel während seiner Ratspräsidentschaft 2007 mit der ersten Zentralasienstrategie innerhalb der EU für die Region stark gemacht. In den letzten Jahren hatte dieses besondere Interesse nach meinem Eindruck etwas nachgelassen. Die veränderte Situation durch Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Zentralasien nun aber wieder mehr den Fokus gerückt - weil Deutschland und seine Verbündeten Unterstützer gegen Russland benötigen, aber auch weil sie auf der Suche nach neuen Energiequellen sind. Außerdem suchen Unternehmen, akademische Einrichtungen oder kommunale Akteure heute in Zentralasien Ersatz für verlorengegangene Märkte und Niederlassungen sowie Hochschul- oder Städtepartnerschaften mit Russland. Es gibt auch schwierige Themen zwischen beiden Seiten. Das sind, wie schon seit vielen Jahren, die Menschenrechtslage und die innenpolitischen Verhältnisse, die unseren Werten und den in den Verfassungen der zentralasiatischen Staaten formulierten Ansprüchen nicht entsprechen. Ganz aktuell dazu gekommen ist der Vorwurf, dass die europäischen Sanktionen gegen Russland mit Hilfe der zentralasiatischen Staaten umgangen würden. Ein heikles Thema, das bei den Gesprächen mit Sicherheit behandelt wird und bei dem auch von zentralasiatischer Seite Klärungsbedarf besteht, sieht man sich doch zu Unrecht beschuldigt, bzw. als Opfer von double standards.

Mit welchen Erwartungen reisen die zentralasiatischen Staatsoberhäupter nach Berlin?

Deutschland hat in Zentralasien ein gutes Renommee. Auch wenn es in den letzten Jahren auf zentralasiatischer Seite manche Enttäuschung gab, ist man weiterhin an guten politischen Beziehungen und intensiveren Wirtschaftskontakten auf Augenhöhe sehr interessiert. Die Tatsache, dass dies das erste Treffen im Format C5+ein EU-Staat ist, übt natürlich einen großen zusätzlichen Reiz aus.

Man muss aber auch bedenken, dass Zentralasien keine einige Region ist. Zwar haben die fünf Staaten bezüglich ihrer politischen Systeme und Realitäten viel gemeinsam, aber ökonomisch liegen zum Beispiel zwischen dem erdölreichen Kasachstan und dem ärmsten GUS-Staat Tadschikistan Welten. Entsprechend werden sich die Erwartungen der Staatsoberhäupter an ihre deutschen Gesprächspartner unterscheiden. Außenpolitisch besteht erstens eine gewisse Konkurrenz zwischen den einzelnen Staaten und zweitens sind ihre Positionen zu den drängenden globalen und regionalen Fragen (natürlich) nicht identisch. In Bezug auf Russlands Krieg gegen die Ukraine scheint Kirgisistan zum Beispiel im Augenblick sehr viel mehr Richtung Russland zu tendieren als Kasachstan.

Es ist also nicht zu erwarten, dass die fünf Präsidenten mit einer Stimme sprechen, genauso wenig erwarte ich konkrete Beschlüsse. Die Bedeutung des Zentralasiengipfels in Berlin würde ich also eher im Symbolischen sehen.

Das Interview basiert auf dem Kenntnisstand vom 28. September 2023.

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