Mehrheit im (gesamten) Donbass verortet die selbsternannten Volksrepubliken weiterhin in der Ukraine
Fünf Jahre nach Beginn des Krieges in der Ostukraine bleibt der Zugang zu Informationen aus dem Kriegsgebiet schwierig. Ein neuer ZOiS Report untersucht den Wandel der öffentlichen Meinung im Donbass – in den regierungskontrollierten Gebieten wie auch in den Gebieten, die nicht unter Kontrolle Kiews stehen. Dafür wurden in den Jahren 2016 und 2019 je 2.400 Menschen befragt. Schwerpunkte waren die Themen Identität (staatsbürgerliche und ethnische Zugehörigkeit sowie Sprachen); der Status der nicht-regierungskontrollierten Gebiete und das Minsk-II-Abkommen.
In den regierungskontrollierten Gebieten war die Einstellung der Mehrheit unverändert: In beiden Jahren würden es etwa 65% vorziehen, wenn die DNR/LNR ohne einen Autonomiestatus wieder in die ukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk integriert würden. In der DNR/LNR unterstützten ein Drittel der Bevölkerung die Idee eines speziellen Autonomiestatus für die nicht-regierungskontrollierten Gebiete, entweder innerhalb der Ukraine oder innerhalb Russlands. Darüber hinaus dachten 2016 etwa 21% der Befragten, die DNR/LNR sollten ohne einen speziellen Autonomiestatus in die ukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk zurückkehren, 2019 wollten das 24% (Abb. 1). „In beiden Jahren sprachen sich rund 55% der Bevölkerung in der DNR/LNR dafür aus, lieber zum ukrainischen Staat gehören zu wollen. Das ist ein wichtiges Korrektiv zu Russlands offizieller Rhetorik und der öffentlichen Wahrnehmung im Westen,“ meint Gwendolyn Sasse Autorin des Reports und Direktorin des ZOiS.
Auch im Hinblick auf die Identitäten der lokalen Bevölkerung bietet sich im nicht-regierungskontrollierten Teil des Donbass ein vielfältiges Bild (Abb.2). „Diese Ergebnisse schützen vor Behauptungen über separatistische oder russische Identitäten in diesem Teil des Donbass, die ohne empirische Grundlage sind“, merkt Gwendolyn Sasse an.
Die wiederholte Umfrage enthüllt, dass es bei den Angaben über die eigene Identität bei der Bevölkerung im regierungskontrollierten Donbass eine auffällige Veränderung gegeben hat. Während die inklusivere zivile Identitätskategorie der ukrainischen Staatsbürgerschaft im regierungskontrollierten Teil 2016 noch dominiert hat (56%), hat sie 2019 mit nun 26% als Selbstbeschreibung an Bedeutung verloren (Abb. 3). „Diese signifikante Schwächung der Identifikation mit dem ukrainischen Staat mag die Enttäuschung derer ausdrücken, die in der Nähe der Frontlinie leben sowie das Gefühl, von der Zentralregierung zurückgelassen zu werden. Diese Gefühle helfen auch, den erdrutschartigen Sieg Wolodymyr Selenskys in den Präsidentschaft- und Parlamentswahlen zu erklären,“ analysiert Sasse.
Selenskys Präsidentschaft könnte den Raum für eine haltbarere Waffenruhe, die Zusammenarbeit über praktische Belange und vertrauensbildenden Maßnahmen eröffnen. Frankreichs Präsident Macron hat für September Gespräche im Normandie-Format angekündigt, um den Krieg auf der Grundlage des Minsk-II-Abkommens zu beenden. Fragen des Status' und der Identitäten, wie sie im vorliegenden ZOiS Report analysiert werden, sind prägend für diese Verhandlungen und die Aussichten auf Frieden.
Weitere Ergebnisse der Umfrage über Identitäten, Muttersprache und Einstellungen zum Minsk-II-Abkommen sowie methodologische Erläuterungen finden sich im ZOiS Report 3/2019: “Attitudes and identities across the Donbas front line: What has changed from 2016 to 2019?” by Gwendolyn Sasse and Alice Lackner.
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