ZOiS Report fängt Stimmung innerhalb der umstrittenen Ukrainischen Orthodoxen Kirche ein
Religion ist ein weiteres Schlachtfeld im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) ist aufgrund ihrer als eng wahrgenommenen Verbindungen zu Russland starkem staatlichen Druck ausgesetzt. Interviews mit UOK-Mitgliedern zeichnen jedoch ein differenzierteres Bild der „russischen“ Kirche in der Ukraine.
Ein neuer ZOiS Report bietet Einblicke in die Denkweise von einfachen Mitgliedern der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK). In 27 ausführlichen Interviews fragte der Autor des Berichts, Andriy Fert, Priester und Gemeindemitglieder der UOK nach ihren Ansichten zu Russland, dem Krieg und dazu, wie sich die Kirche im derzeit feindlichen Kontext positionieren sollte. Dass nur Personen, die sich nicht als prorussisch identifizierten, zu einem Interview bereit waren, bedeutet, dass ihre Antworten nicht repräsentativ für die UOK als Ganzes sind. Die Interviews fangen dennoch die aktuelle Stimmung innerhalb der Kirche ein und zeigen, dass die UOK vielfältiger ist als ihr Image als „russische Kirche in der Ukraine“.
Die Ursprünge der öffentlichen Kritik
Der Rückgang der öffentlichen Unterstützung für die UOK begann mit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 und beschleunigte sich nach 2022. Für viele der im Bericht zitierten Kirchenmitglieder ist diese öffentliche Missbilligung hauptsächlich auf äußere Faktoren zurückzuführen. Sie machen die ukrainischen Medien für die einseitige Berichterstattung verantwortlich und erklären, der Staat habe die negative Presse über die Kirche inszeniert. Andere werfen der Führung der UOK vor, den Bruch der Kirche mit Moskau im Jahr 2022 nicht richtig kommuniziert und Kollaborateure unter ihren Geistlichen nicht verurteilt zu haben.
Widerwillen gegen die Einführung der ukrainischen Sprache
Die Gottesdienste der UOK werden in einer archaischen Sprache abgehalten – dem Kirchenslawischen. Jüngste Forderungen an die Kirche, zumindest in bestimmten Teilen der Liturgie auf Ukrainisch umzustellen, haben die Spaltungen innerhalb der Kirche offengelegt. Einige der befragten Kirchenmitglieder sind sehr daran interessiert, das Kirchenslawische als „heilige“ Sprache beizubehalten, und zögern, sich in dieser Frage dem Druck von außen zu beugen. Ihre Zurückhaltung lässt nicht auf eine prorussische Haltung schließen, sondern lässt sich größtenteils auf Gewohnheiten und theologische Überlegungen zurückführen. Andere Befragte sind eher bereit, ukrainische Elemente einzuführen – etwa die Hälfte der im Bericht untersuchten Gemeinden hat dies bisher getan.
Ansichten zur „rivalisierenden“ Orthodoxen Kirche der Ukraine
Seit 2018 hat die UOK mit der offener proukrainischen Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) einen Konkurrenten. Nach der offiziellen Linie der UOK ist die OKU eine illegitime Kirche, die mit dem Staat zusammenarbeitet, um die UOK zu untergraben. Während ein großer Teil der Befragten diese Darstellung bestätigt, gibt es auch viele, die das nicht tun und stattdessen auf ihre guten Beziehungen zu Mitgliedern der „rivalisierenden“ Kirche verweisen. Dennoch ist die Bereitschaft der Befragten, sich der OKU anzuschließen, insgesamt sehr gering.
Der Bericht beleuchtet den inneren Konflikt der UOK-Mitglieder, denen es schwerfällt, angemessen auf die Entwicklungen in der Ukraine zu reagieren. „Viele Befragte berufen sich auf die Idee der Religion als unpolitischer Bereich. Doch im Kontext des Krieges ist selbst der Wunsch, sich nicht von der Politik beschmutzen zu lassen, politisch“, erläutert der Autor.
Veröffentlichung:
Andriy Fert: War and Religion. Views from Within Ukraine’s ‘Russian’ Church, ZOiS Report 6/2024.