Die Östliche Partnerschaft droht in Vergessenheit zu geraten
Das Positive vorneweg: Der virtuelle Gipfel zur Östlichen Partnerschaft (ÖP) zwischen der Europäischen Union (EU) und den sechs Partnerländern Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine, der am 18. Juni 2020 stattfand, brachte als zentrales Ergebnis die Einigung auf die Durchführung eines physischen Gipfeltreffens im März 2021 hervor. Dann soll eine gemeinsame Erklärung zu den fünf Kernzielen der ÖP über das Jahr 2020 hinaus verabschiedet werden. Diese sind mit Blick auf die sechs Partnerländer 1) resiliente, nachhaltige und inklusive Volkswirtschaften, 2) Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, 3) ökologische Resilienz und Klimaresilienz, 4) digitaler Wandel und 5) faire und inklusive Gesellschaften (u.a. durch die Stärkung der Zivilgesellschaft, freier Medien und der Bürgerrechte).
Die nächsten Monate bieten die Chance, die genannten Kernziele mit konkreten Zielvorgaben auszugestalten. Diese sollten nicht nur greifbare Resultate für die Bevölkerung der Partnerländer hervorbringen, sondern auch in eine Strategie eingebettet sein, welche den Einschränkungen auf beiden Seiten Rechnung trägt. Auf der Seite der Partnerländer selbst sind dies in erster Linie die Präsenz reformresistenter Eliten (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß), auf Seite der EU sind dies fehlende Kapazitäten, um die ambitionierten Ziele angemessen zu unterstützen.
Stärkeres EU-Engagement aus Eigeninteresse
Trotz aller offizieller Bekundungen zur strategischen Bedeutung der ÖP seitens der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen während des virtuellen Gipfeltreffens, stellt die ÖP nur für einige wenige EU-Mitgliedstaaten eine Priorität dar. Angesichts der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Wirtschaftskrise wird die Mehrheit der nationalen Regierungen kaum gewillt sein, den Ländern der ÖP die Unterstützung zuteilwerden zu lassen, die es bräuchte, um nur ansatzweise die hohen selbstgesteckten Ziele zu erreichen und die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit der Partner in den nächsten Jahren zu stärken.
Das begrenzte EU-Engagement muss insbesondere im Hinblick auf Georgien, Moldau und die Ukraine, die 2014 ein Assoziierungsabkommen mit der EU abgeschlossen haben, mit Sorge betrachtet werden. Sicher gab es in den letzten zehn Jahren im Bereich der Handelsbeziehungen, der Energiesicherheit oder beim Ausbau der zwischenmenschlichen Kontakte Erfolge zu verzeichnen, aber das Erreichte ist nicht unumkehrbar. Schließlich sind gerade diese drei Länder plus Armenien ein Spielfeld für in Konkurrenz zueinanderstehende Entwicklungsmodelle. Ein Scheitern der EU erhöht die Attraktivität von Integrationsangeboten seitens Russlands, Chinas oder der Türkei in der Region. Die Unterstützung einer erfolgreichen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung im Sinne der oben genannten Kernziele sollte daher seitens der EU-Mitgliedstaaten nicht als Akt der Wohltätigkeit verstanden werden. Eher ist es so, dass die EU mit den Ländern der ÖP in einem (sicherheits-)politischen und wirtschaftlichen Interdependenzverhältnis steht, auch wenn dies zugunsten der EU asymmetrisch ist.
Vor diesem Hintergrund ist es schon aus purem Eigeninteresse der EU wichtig, der ÖP neue Akzente zu geben, ohne die genannten Einschränkungen seitens der Partner selbst, aber auch seitens der EU aus dem Blick zu verlieren. Diese Neuausrichtung der ÖP bis zum physischen Gipfeltreffen im März 2021 sollte die Bundesregierung trotz aller anderen gegenwärtigen Herausforderungen während ihrer Ratspräsidentschaft nicht aus den Augen verlieren. Zumal mit Portugal im Januar 2021 ein Mitgliedstaat den Vorsitz übernehmen wird, der für dieses Thema wenig Interesse aufbringen wird.
Die ÖP nach 2020
Eine glaubwürdige EU-Beitrittsperspektive für Georgien, Moldau und die Ukraine wäre sicher ein wichtiger Anreiz, um innerstaatliche Reformkräfte in den drei Partnern selbst zu stärken und das Engagement der EU zu intensivieren. Die Situation in den vier Kandidatenländern des westlichen Balkans zeigt jedoch, dass die EU – wenn überhaupt – derzeit nur in der Lage wäre, eine unglaubwürdige Beitrittsperspektive auszusprechen, die diese positiven Effekte nicht hervorrufen kann. Vor diesem Hintergrund sollte es bei der Ausrichtung der ÖP über das Jahr 2020 hinaus vor allem um Differenzierung und Priorisierung gehen:
Differenzierung: Georgien, Moldau und die Ukraine stehen durch den Abschluss von Assoziierungsabkommen mit der EU, welche die Schaffung einer tiefen und umfassenden Freihandelszone einschließt, vor anderen Herausforderungen als Armenien, geschweige denn Belarus und Aserbaidschan. Die drei assoziierten Länder haben sich zu einer umfangreichen Übernahme von EU-Regeln entschieden, die einerseits eine Orientierung auf ihrem nationalen Reformweg geben können, diese Länder andererseits aber auch vor große Herausforderungen stellen. So haben sich die Länder beispielsweise im Bereich des Wettbewerbsrechts dazu verpflichtet, ihre Politik der staatlichen Beihilfe weitgehend an EU-Recht anzupassen. Das ist sinnvoll, um den Staat vor dem Übergriff korrupter Eliten zu schützen, stellt die drei Ländern aber auch vor die Herausforderung, bisherige Instrumente zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer heimischen Unternehmen zu überdenken. Es ist daher nur folgerichtig, dass Georgien, Moldau und die Ukraine ein EU+3 Format für die Planung der künftigen Zusammenarbeit fordern. Dieses Viererformat gibt es bereits im Bereich der Handelspolitik, sollte aber auf weitere Bereiche wie Rechtsstaatlichkeit, Energie, Klima, Transport, Mobilität, Sicherheit und den Wettbewerb ausgeweitet werden. Ebenso wäre in Anlehnung an die Support Group Ukraine die Schaffung eines solchen Instruments für Georgien und Moldau wünschenswert.
Priorisierung: Die Kommunikation zur Östlichen Partnerschaft vom 18. März 2020 schlägt eine ganze Bandbreite an ehrgeizigen Zielen vor bei einem voraussichtlich recht mageren Finanzrahmen für 2021-2027. So ist eine möglichst breite Einbettung der ÖP-Länder in den Green Deal, eine breite Digitalisierung, die Schaffung einer unabhängigen Justiz oder die Reform der öffentlichen Verwaltung natürlich wünschenswert. Gleichzeitig ist eine stärkere Priorisierung, die das Entwicklungsniveau, die Kapazitäten der Partnerländer (und der EU) sowie den möglichen Widerstand reformresistenter Eliten im Blick behält, notwendig, um am Ende wirklich greifbare Resultate zu erzielen. Beispielsweise implizieren Forschungsarbeiten zur Förderung wirtschaftlicher Entwicklung, dass sich gerade im Hinblick auf die drei assoziierten Länder einige der genannten Kernziele der künftigen ÖP durch einen sektoralen Ansatz erreichen ließen, der private und öffentliche Akteure auch auf lokaler und regionaler Ebene zusammenbringt. Bei der Förderung von ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Produktionsketten, einer effektiven öffentlichen Verwaltung, der Förderung von Humankapital oder der Ausweitung von digitalen Diensten wie e-commerce sollte man sich bei der Ausgestaltung der Zielvorgaben zunächst auf strategische Wirtschaftssektoren konzentrieren sowie die Bildung sektoraler bzw. regionaler Cluster. Diese können Leuchtturmcharakter erreichen und Übertragungseffekte für weitere Sektoren nach sich ziehen.
Julia Langbein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS und leitet den Forschungsschwerpunkt „Politische Ökonomie und Integration“.