Nachtrag zu Sapad 2017
Das gemeinsame russisch-belarussische Militärmanöver, das zwischen dem 14. und dem 20. September durchgeführt wurde, hat zu zahlreichen Kommentaren und Spekulationen geführt. Westliche Expert*innen und Militärvertreter*innen haben unterschiedliche Bedrohungsszenarien heraufbeschworen, was erneut deutlich gemacht hat, wie sehr sich die NATO-Russland-Beziehungen verschlechtert haben. Inzwischen sind die meisten Fakten bekannt und erscheinen weniger alarmierend als erwartet. Das diesjährige Manöver unterschied sich kaum von vorangegangenen Sapad-Übungen in den Jahren 2009 oder 2013. Sapad 2017 war eine weitgehend defensive Militärübung, die die Verteidigung von Belarus gegen eine hypothetische NATO-Intervention durch konventionelle Streitkräfte erprobt hat – kein hybrider Angriff, wie zunächst angenommen. Truppenstärken und -verlegungen sowie mögliche geheime Pläne haben in dieser Form noch nicht so viel Aufmerksamkeit erhalten.
Die Tatsache, dass Russlands Enklave Kaliningrad ebenfalls Schauplatz der Übung war, nährte den Verdacht, dass Russland in die sogenannte Suwalki-Lücke eindringen könnte. Dabei handelt es sich um einen territorialen Korridor an der Grenze von Litauen und Polen, der Kaliningrad von Belarus trennt. Westliche Berichte darüber, dass Sapad 2017 das Vorspiel zu einer offensiven Operation gegen NATO-Staaten sein könnte, wurden vom stellvertretenden russischen Verteidigungsminister Alexander Fomin, wie erwartet, zurückgewiesen. Bei der Vermutung, dass rund 100.000 Soldaten an der Übung teilnehmen würden, wurde außerdem nicht berücksichtigt, dass begleitende Kräfte der Nationalgarde, des Föderalen Sicherheitsdienstes und verschiedener anderer für Sicherheitsfragen relevanter Ministerien sowie Kampfunterstützungseinheiten nicht Teil der aktiven Truppen waren.
Die teilnehmenden Truppen überschritten dennoch mit ziemlicher Sicherheit die angekündigte Zahl von 12.700 (einschließlich der belarussischen Bodenstreitkräfte). Die Obergrenze der OSZE, unter der eine militärische Übung ohne ausländische Beobachter*innen stattfinden kann, beträgt 13.000. Darüber hinaus diente Sapad 2017 als Test für Fortschritte bei der Ausweitung russischer militärischer Fähigkeiten und als Experiment, um Lehren aus den Militäreinsätzen in der Ukraine und Syrien zu ziehen.
Offizielle Reaktionen in Belarus
Die Wahrnehmungen und Reaktionen auf das Manöver in Belarus, einem der beiden teilnehmenden Staaten und ein Hauptschauplatz der Übung, wurden wenig beachtet. Belarus befand sich in einer schwierigen Situation: Einerseits hatte es gerade erst seine Beziehungen zum Westen verbessert, sich als Vermittler während des Minsk-Prozesses lanciert und vorsichtig versucht, sich von Russland zu emanzipieren. Beobachter*innen stellten fest, dass der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko sich wohl von einer großangelegten Militärübung mit Russland distanziert hätte, wenn er die Wahl gehabt hätte, da Russland mittlerweile weitgehend als Aggressor gesehen wird. Andererseits erachtete man es in Belarus als notwendig, die Gültigkeit der belarussich-russischen Beziehungen zu demonstrieren – trotz der Tatsache, dass Russland in Minsk als unberechenbarer Partner gilt.
Um internationale und nationale Beobachter*innen zu beruhigen, setzte das belarussische Verteidigungsministerium auf Transparenz. Es gründete eine Webseite zu Sapad 2017, auf der die Übung täglich mit Informationen, Fotos und Videos dokumentiert wurde. Es lud Journalist*innen aus aller Welt, mehr als 90 Beobachter*innen von internationalen Organisationen sowie in Minsk akkreditierte Militärattachés zur aktiven Phase der Übung ein.
Dessen ungeachtet entfaltete sich im Land selbst ein hitziger Informationsaustausch um Sapad 2017, in dem lokale Beobachter*innen und Medienvertreter*innen die PR-Kampagne des Verteidigungsministeriums scharf kritisierten. Am 29. August organisierte der Oberkommandeur der Streitkräfte Oleg Belokonev eine Informationsveranstaltung für eine Gruppe ausgewählter Medienvertreter*innen, jedoch ohne die Möglichkeit für Rückfragen zu bieten.
Kritische Stimmen
Am 11. September, einige Tage vor dem offiziellen Start von Sapad 2017, organisierte die belarussische Opposition unter Führung der Vereinigten Bürgerpartei eine Konferenz, zu der sie nationale und internationale Expert*innen sowie Parlamentarier*innen aus Litauen, Polen und der Ukraine einlud. Staatsvertreter*innen waren ebenfalls eingeladen, folgten der Einladung jedoch nicht.
Dass das belarussische Verteidigungsministerium der litauischen Delegation keine diplomatischen Visa ausstellte, sorgte für einen weiteren kleinen politischen Eklat. Die Konferenz fand trotzdem statt und die litauischen Teilnehmer*innen wurden per Skype hinzugeschaltet. Die Ablehnung der Visumsanträge war wahrscheinlich nicht nur auf das sensible Thema zurückzuführen, sondern vor allem darauf, dass der litauische Parlamentarier Laurynas Kasčiūnas bei der belarussischen Führung in Ungnade gefallen ist, seit er bei der Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE im Juli eine Belarus-kritische Resolution vorgelegt hatte.
Im Rahmen der Konferenz wurde die Befürchtung geäußert, dass Russland möglicherweise Truppenteile in Belarus zurücklassen könnte, die das Land unter Druck setzen oder gar destabilisieren könnten. Der frühere litauische Außenminister Audronius Ažubalis kritisierte Lukaschenkos Vorstoß bezüglich eines neuen Helsinki-Prozesses. Dies würde lediglich den Status quo der russischen Besetzung von georgischem und ukrainischem Territorium aufrechterhalten. Russland selbst machte Ažubalis dafür verantwortlich, die Schlussakte von Helsinki ruiniert zu haben. Der Vorsitzende der linken Partei Gerechte Welt Sergej Kaljakin sah hingegen keinen Anlass zur Sorge. Die Aufregung rund um Sapad 2017 hänge mit internen politischen Fragen in diesen Staaten zusammen. Was Belarus anbelangt, sei das Hauptproblem „in der Abwesenheit jeglicher demokratischen Kontrolle staatlicher Aktivitäten zu sehen“.
Zwischen Humor und Sorge
Letztlich bestand Konsens unter den Konferenzteilnehmer*innen, dass eine Neuauflage des Budapester Memorandums gefordert werden müsse, die einen bindenden Charakter habe und die Unterzeichnerstaaten zwinge, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Bedenken hinsichtlich der Aufrechterhaltung der nationalen Souveränität und Unabhängigkeit Belarus‘ wurde auch in den Regionen geäußert. Ein belarussisches Reporterteam suchte einige der Orte auf, an denen russische Soldaten stationiert worden waren, um sich über die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung zu informieren. Der Großteil der Befragten schien sich in der Tat nicht wohlzufühlen bei dem Gedanken, dass sich russische Soldaten in unmittelbarer Nähe zu ihnen aufhielten.
Die Netz-Community im Land begegnete Sapad 2017 und dem militärischen Szenario hingegen mit Humor. Der von russischen und belarussischen Militärstrategen konstruierte Überfall auf Belarus sollte von einer Koalition von drei fiktiven Staaten durchgeführt werden: Weischnorija, Lubenija und Wesbarija. Dabei verorteten die Strategen Weischnorija im Nordwesten des belarussischen Territoriums. Kurz nachdem das Szenario publik geworden war, hatte Weischnorija bereits eine eigene Flagge, ein Wappen, ein Twitter-Konto und eine Nationalhymne.
Nadja Douglas ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS.