Präsidentenwahl in Kirgistan
Die kleine zentralasiatische Hochgebirgsrepublik Kirgistan hat sich nach ihrer Unabhängigkeit Anfang der neunziger Jahre den Ruf eines demokratischen Staates, einer „Insel der Demokratie“, erworben, der sich bis heute gehalten hat. So wurde der überraschende Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Bischkek im Juli 2016 zum Beispiel damit begründet, dass Deutschland damit seine Anerkennung für das Bemühen Kirgistans um Demokratie zeigen wolle. Diese Einschätzung beruht vor allem auf dem Vergleich mit den politischen Verhältnissen in den anderen zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, in denen zweifellos autoritäre Herrscher bestrebt sind, mit nicht demokratischen Maßnahmen möglichst lange möglichst viel Macht auszuüben. Im Gegensatz dazu hat die Kirgisische Republik, so der offizielle Name, bislang vier von der Bevölkerung bestimmte Präsidenten gehabt; es existieren mehr als hundert Parteien, von denen immer mehrere im Parlament vertreten waren und den jeweiligen Regierungen vielfach Paroli geboten haben. Außerdem nehmen die Kirgis*innen in der Kritik an ihrer Führung kein Blatt vor den Mund. Allerdings wurden zwei der bisherigen Präsidenten nicht durch Wahlen, sondern durch sogenannte Revolutionen ausgetauscht. Mehrere Verfassungen und unzählige Verfassungsänderungen zeugen von der Suche nach der „passenden“ Machtverteilung zwischen Präsident, Premier und Parlament. Die Zahl von 30 Premierministern in 26 Jahren Unabhängigkeit muss man wohl auch als Ausdruck von fehlender politischer Stabilität bewerten. Die jüngste Wahl eines neuen Präsidenten am 15. Oktober bestätigt diesen Befund.
Demokratischer Machtwechsel
Diese Wahl fand regulär statt: Der 2011 gewählte Amtsinhaber Almasbek Atambajew durfte laut Verfassung nicht wieder kandidieren und hielt sich daran. Wie bei vorangegangenen Präsidentschaftswahlen bemühte sich wieder eine erstaunlich hohe Zahl von Interessent*innen, insgesamt 59, um die Zulassung durch die Zentrale Wahlkommission. Aufgrund des Rückzugs einiger Bewerber und nach Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Kandidatur blieben letztlich elf Namen übrig. Die mehr als drei Millionen Wähler*innen hatten personell also zweifellos eine echte Auswahl, politische Inhalte und Programme spielen in Kirgistan dagegen praktisch keine Rolle. Zwar wurde schon im Vorfeld des Wahltages von versuchtem Stimmenkauf im Süden des Landes berichtet und die OSZE/ODIHR-Mission monierte in ihrer vorläufigen Stellungnahme beispielsweise Probleme bezüglich einer geheimen Stimmabgabe oder bei der Auszählung der Stimmen, doch das Ergebnis wird dadurch nicht infrage gestellt. Wahlsieger ist mit 54,2 Prozent der Stimmen der ehemalige sozialdemokratische Premier Sooronbaj Dscheenbekow.
Die Tatsache, dass dieses Ergebnis viele Beobachter*innen überrascht hat, zeigt erneut, dass die politischen Verhältnisse in Kirgistan sich von denen in seinen Nachbarstaaten unterscheiden und der Gewinner eben nicht schon im Vorfeld bekannt ist. Der zweitplatzierte Kandidat Omurbek Babanow hat den Ablauf des Wahlkampfes zwar kritisiert, das Ergebnis aber anerkannt und seine unzufriedenen Anhänger*innen beruhigt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird damit am 24. November in Kirgistan erstmals ein verfassungsgemäß von der Bevölkerung gewählter Präsident sein Amt an einen ebenso demokratisch gewählten Nachfolger übergeben. Damit wird das Land seinem Ruf als Vorreiter der Demokratie in Zentralasien wieder einmal gerecht.
Destabilisierender Wahlkampf
Allerdings hat der Wahlkampf ungute Belastungen für die nahe Zukunft hinterlassen: Schon seit Jahresbeginn, vor allem aber in den letzten Wochen vor der Wahl, haben Stil und Ton der politischen Auseinandersetzung eine bedenklich polarisierende, die innere wie äußere Stabilität des Landes gefährdende Form angenommen. Das begann schon mit der Verhaftung des einflussreichen Politikers Omurbek Tekebajew im Frühjahr und seiner Verurteilung zu acht Jahren Haft wegen Korruption im August, setzte sich fort in der juristischen Verfolgung kritischer Medien und Journalist*innen und gipfelte in der Festnahme des Abgeordneten Kanatbek Isajew, eines Unterstützers des Kandidaten Babanow, am 30. September – wegen des Verdachts Unruhen vorzubereiten, für den Fall, dass Babanow nicht gewählt wird.
Als sich immer mehr abzeichnete, dass die Wahl auf eine Art Zweikampf zwischen den Kandidaten Dscheenbekow und dem als Favoriten gestarteten reichen Geschäftsmann Babanow hinauslief, verschärfte sich der Ton zwischen beiden Seiten. Persönliche Diskreditierung wurde zum wichtigsten Mittel des zunehmend unfairen Wahlkampfs. Der 58-jährige Dscheenbekow gilt als Vertrauter, manchen auch als Protegé oder Marionette des amtierenden Präsidenten Atambajew. Er erhielt entsprechend Unterstützung durch „administrative Ressourcen“, etwa durch Druck auf Staatsbedienstete und Studierende, für den Kandidaten der Macht zu stimmen oder einseitige Berichterstattung der staatlichen Medien.
Vor allem sah sich der amtierende Präsident Atambajew offenbar immer weniger in der Rolle des neutralen Staatsoberhauptes, sondern unterstützte „seinen“ Kandidaten Dscheenbekow unüberhörbar. Besonders bedenklich erscheint, dass er dabei eine Belastung des zwischenstaatlichen Verhältnisses zu Kasachstan in Kauf nahm. Das bislang immer freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Staaten erreichte durch Atambajews Wahlkampfaussagen im Oktober einen völlig unnötigen Tiefpunkt. Auslöser des Konfliktes war, dass der kasachstanische Präsident Nursultan Nasarbajew Mitte September, also schon während des offiziellen Wahlkampfes in Kirgistan, den Kandidaten Babanow empfangen hatte. Auf einen kirgisischen Protest wegen Einmischung in innere Angelegenheiten reagierte man in Astana mit Unverständnis, woraufhin Atambajew unter anderem öffentlich erklärte, Kasachstan werde von korrupten Sultanen regiert, die das Land ausplündern. Kasachstan beschloss daraufhin nicht nur, keine Wahlbeobachter nach Kirgistan zu entsenden, sondern richtete verstärkte Kontrollen an der gemeinsamen EEU-Binnengrenze ein, die zu stundenlangen Wartezeiten führten. Kirgistan wiederum lehnte fest vereinbarte kasachstanische Unterstützungszahlungen ab.
Dscheenbekow, der das bislang niedrigste Ergebnis bei einer Präsidentenwahl in Kirgistan für sich verbuchen konnte, muss jetzt also innen- wie außenpolitisch die Scherben des Wahlkampfs beseitigen, bevor er sich der Lösung der eigentlichen und zweifellos erheblichen Probleme Kirgistans widmen kann. Die Wahlen waren wieder einmal ein Beispiel dafür, dass man sich in Kirgistan an schriftlich fixierten demokratischen Grundregeln zu orientieren versucht, bei ihrer Umsetzung aber Probleme bestehen, die nicht nur auf Demokratiedefizite hindeuten, sondern sogar zu einer Gefährdung der inneren wie äußeren Stabilität geführt haben. Der westliche Lobpreis für den Stand der Demokratie in Kirgistan beruht vor allem auf dem Vergleich mit den autoritären Nachbarstaaten. Die Suche nach dem richtigen politischen Weg muss weitergehen.
Beate Eschment ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS, wo sie die Zentralasien-Analysen herausgibt.