ZOiS Spotlight 7/2021

Weitere Verschärfung der russischen Gesetze über ausländische Agent*innen

Von Tatiana Golova 24.02.2021
St. Petersburg, 31. Januar 2021. Polizist, der Demonstrantin festhält, wird gefilmt. Journalistische Berichterstattung über Proteste wird in Russland künftig eingeschränkt. imago images / ITAR TASS

Ab dem 1. März 2021 drohen allen politisch aktiven Personen in Russland administrative oder strafrechtliche Konsequenzen, wenn sie sich nicht als sogenannte ausländische Agent*innen eintragen lassen und den Behörden regelmäßig Unterlagen über ihre Aktivitäten vorlegen. Als ausländische Agent*innen gelten alle Einzelpersonen und alle formellen oder informellen Organisationen, die sowohl politisch aktiv sind als auch Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Diese beiden Kriterien treffen auf eine große Zahl von Individuen und Organisationen zu, denn was als „politische Aktivität“ gilt, wird sowohl in der juristischen Praxis als auch in der Gesetzgebung sehr weit ausgelegt. Strafen für vermeintlich unkooperative ausländische Agent*innen könnten deshalb nahezu alle treffen, die sozial, politisch oder ökologisch aktiv sind, sich im Opferschutz engagieren oder für Menschenrechte einsetzen. Auch ab wann von einer „Unterstützung aus dem Ausland“ gesprochen werden kann, wurde nicht eindeutig definiert. Klar ist jedenfalls, dass diese Unterstützung nicht unbedingt finanzieller Art sein und nicht einmal in einem direkten Zusammenhang mit den politischen Aktivitäten der Betroffenen stehen muss. Sie könnte also für nahezu alle Fällen beansprucht werden.

Sogenannte ausländische Agent*innen dürfen weder Ämter in lokalen Verwaltungen oder staatlichen Organen übernehmen noch bei Wahlen als Kandidat*innen antreten. Wer als ausländische*r Agent*in registriert ist, muss dies bei allen öffentlichen Aktivitäten kenntlich machen. Falls die betreffende Person in den Massenmedien erwähnt wird, sind diese ebenfalls dazu verpflichtet, darauf hinzuweisen. Bei Verstößen drohen im besten Fall hohe Bußgelder, im schlimmsten Fall Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.

Dies sind die neuesten Erweiterungen eines seit Ende 2020 vom russischen Parlament verabschiedeten Gesetzespakets, das der Regierung neue Möglichkeiten eröffnet, Kontrolle über kleinere Protestveranstaltungen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Massenmedien und die Kommunikation in den sozialen Netzwerken auszuüben und repressiv gegen sie vorzugehen. Staatliche Akteure verweisen auf die Interessen der nationalen Sicherheit und angeblich ähnliche Gesetze im Westen, um die Maßnahmen zu rechtfertigen. Kritiker*innen zufolge sind die Restriktionen darauf ausgelegt, potenzielle Gefahren für die russische Führung im Hinblick auf zukünftige Wahlen aus dem Weg zu räumen. Mit den Änderungen wird insbesondere auf eine Entwicklung hin zu informelleren Organisationsstrukturen reagiert, die für die Arbeit vieler unabhängiger politischer und sozialer Aktivist*innen von zentraler Bedeutung ist.

Das neue Vorgehen gegen informelle Strukturen

Das ursprüngliche Gesetz über ausländische Agent*innen wurde im Jahr 2012 erlassen und richtete sich zunächst in erster Linie gegen NGOs. Dass die betroffenen Organisationen seitdem ihren Status als ausländische Agent*innen bei allen öffentlichen Aktivitäten und in all ihren Veröffentlichungen angeben müssen, schränkt die Möglichkeit, mit staatsnahen Institutionen zusammenzuarbeiten, stark ein. Auch der zusätzliche bürokratische Verwaltungsaufwand und die empfindlichen Strafen, die bei Verstößen drohen, haben die Arbeitsbedingungen von Menschenrechtsorganisationen und Wahlbeobachter*innen drastisch verschlechtert. Zudem hat ihr Ruf erheblich unter dem Gesetz gelitten. Potenzielle Partnerorganisationen werden von einer Zusammenarbeit abgeschreckt, da sie nicht selbst in Verdacht geraten wollen.

Dutzende NGOs haben sich vor Gericht dagegen gewehrt, als ausländische Agent*innen stigmatisiert zu werden – und nahezu alle haben verloren. Einige Organisationen haben eine andere Überlebensstrategie gewählt. Sie gaben ihren formalrechtlichen Status auf und arbeiteten informell weiter, ohne sich bei den Behörden anzumelden. Diese Strategie hat jedoch einen Preis: Zum einen können informelle Gruppen nicht an formellen Vergabeverfahren teilnehmen, zum anderen stehen sie vor besonderen Herausforderungen, ihre Aktivitäten intern zu koordinieren und zu finanzieren. Informelle Arbeitsweisen schränken zudem die Möglichkeiten ein, größere Koalitionen zu bilden und transnational mit anderen Organisationen zusammenzuarbeiten. Allerdings waren informelle Strukturen bisher weniger anfällig für Repressionen, da die Maßnahmen des russischen Staates gegenüber ausländischen Agent*innen zunächst auf registrierte Organisationen zugeschnitten waren.

Der teilweise Übergang zu informellen Strukturen hat zwar die Spielräume russischer Organisationen verengt, ihnen jedoch zugleich ermöglicht, sich den verschlechterten Bedingungen anzupassen. In der letzten Zeit sind informelle Netzwerke und individuelle Aktivist*innen deshalb vermehrt ins Visier der gesetzlichen Maßnahmen gegen ausländische Agent*innen geraten. Davon betroffen sind Organisationen wie Golos, die weiterhin unabhängige Wahlbeobachtungen durchführte, auch nachdem sie sich formalrechtlich aufgelöst hatte.

Formeller und informeller Journalismus

Noch bevor die Ende 2020 beschlossene Gesetzesverschärfung in Kraft trat, hat das Justizministerium mithilfe eines ähnlichen Gesetzes mehrere Medienvertreter*innen und Aktivist*innen als ausländische Agent*innen klassifiziert. Zudem wurden weitere potenziell repressive Gesetze eingeführt, die eine stärkere Kontrolle der Medienlandschaft ermöglichen. Auch wenn diese sich nicht auf vermeintliche ausländische Agent*innen beziehen, dienen sie dennoch dem Ziel, informelle Strukturen im Mediensektor zu bekämpfen.

Hybride Medienprodukte, reine Onlinemedien, Blogs und private Messengerdienste erleben einen globalen Boom und haben weltweit Machtverhältnisse verschoben. Für Russlands NGOs, Aktivist*innen und Oppositionelle spielen sie eine besonders wichtige Rolle, da eine kritische Berichterstattung in den traditionellen Medien des Landes kaum möglich ist. Neben den sehr beliebten Videos des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny, wurden YouTube, Telegram und in letzter Zeit zunehmend auch TikTok genutzt, um alternative Sichtweisen auf die sozialen und politischen Probleme Russlands aufzuzeigen oder für Proteste zu mobilisieren und über sie zu berichten. Auf diese Aktivitäten zielen die neuen Einschränkungen der Medien durch den russischen Staat.

Journalist*innen, die von Protesten berichten, sind künftig verpflichtet, eine bestimmte Erkennungsmarke zu tragen. Diese Marken werden nur an Journalist*innen vergeben, die entweder fest angestellt oder als Vertragspartner*innen für registrierte Medienunternehmen tätig sind. Weniger formalisierte Formen des Journalismus werden damit ausgeschlossen. Dies gilt etwa für freiberuflichen Journalismus oder Blogging, aber auch für die Dokumentation von Protesten durch Menschenrechtsaktivist*innen, Sozialwissenschaftler*innen oder die Beteiligten der Proteste selbst. Wer auf Demonstrationen dabei erwischt wird, zu filmen, ohne eine Erkennungsmarke zu tragen, muss in Zukunft mit polizeilichen Repressionen rechnen. Ohne eine ordnungsgemäße Genehmigung eine journalistische Erkennungsmarke zu tragen, wird ebenfalls als Verstoß geahndet werden.

Neben dem Verbot informeller, größtenteils digitaler Berichterstattung wird die Arbeit von Journalist*innen auch dadurch eingeschränkt werden, dass für sie zukünftig bei Demonstrationen die gleichen Regeln gelten werden wie für die Demonstrierenden. Wenn zum Beispiel bei Protesten ein bestimmter Bereich geräumt wird, müssen Journalist*innen von nun an den Aufforderungen der Polizei in gleicher Weise Folge leisten wie die Demonstrierenden.

Selektive Durchsetzung und Selbstanzeige

In Zukunft können die neuesten Änderungen der russischen Gesetzgebung über ausländische Agent*innen Repressionen gegen jede Form des Aktivismus rechtfertigen, die sich nicht an die engen Spielregeln des offiziellen staatlichen Diskurses hält. Da die den Gesetzen zugrundeliegende Definition sehr weit gefasst ist, werden unmöglich alle potenziellen ausländischen Agent*innen kontrolliert werden können. Es ist also damit zu rechnen, dass die Maßnahmen selektiv durchgesetzt werden. Für diejenigen, die von ihnen betroffen sind, stellt das jedoch kaum eine Erleichterung dar. Eine abschreckende Wirkung der neuen Maßnahmen wird zum einen bereits dadurch erzielt, dass viele Betroffene sich nicht mehr sicher fühlen. Zum anderen reicht es, gegen einige wenige mit repressiven Mitteln vorzugehen, um viele andere in Angst zu versetzen.

Rein mittels Gewalt zu herrschen, ist kostspielig. Damit Gewalt als Herrschaftsinstrument funktionieren kann, muss sie durch Angst gestützt werden. Angst erlaubt es den Behörden, Zeit und Ressourcen einzusparen. Im Kern lebt die neue Gesetzgebung in Russland von der Erwartung, dass die Arbeit des Staates sich von selbst erledigen wird, indem vermeintliche ausländische Agent*innen sich selbst bei den staatlichen Behörden anschwärzen, anstatt erst durch sie identifiziert werden zu müssen.


Tatiana Golova ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS.