Zentralasien und die Präsidentschaftswahlen in Russland
In weniger als zwei Wochen werden in Russland Präsidentschaftswahlen abgehalten. Der Ausgang der Wahlen birgt kaum Überraschungen: Wladimir Putin wird aller Wahrscheinlichkeit nach zum vierten Mal zum Präsidenten der Russischen Föderation gewählt werden. In Zentralasien scheinen Medien und Wissenschaft jedoch kaum Notiz davon zu nehmen. Dies liegt zu einem daran, dass der Ausgang der Wahlen bereits von vornherein feststeht, zum anderen ist es auf die Zensur zurückzuführen. Schließlich ist es aber auch Ausdruck der schwindenden Bedeutung Russlands für die Region.
Dürftige Berichterstattung
Die Medien in den fünf zentralasiatischen Republiken – Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan – schenken den anstehenden Wahlen in Russland kaum Beachtung. Aber nicht nur die journalistische Berichterstattung, sondern auch die intellektuelle Auseinandersetzung mit den Wahlen, dem Wahlkampf, Putins Opponenten sowie der möglichen Folgen für Zentralasien, durch Think Tanks oder Wissenschaftler*innen sind dünn gesät. Die US-Präsidentschaftswahlen 2016 wurden sehr viel aufmerksamer verfolgt als die diesjährigen Wahlen in Russland.
Der Hauptgrund für dieses weitverbreitete Desinteresse ist sicher die Gewissheit über den Wahlausgang, die für Präsidentschaftswahlen in dieser Region typisch ist (auch wenn der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Kirgistan 2017 alles andere als vorhersagbar gewesen ist). Ein weiterer Grund ist (Selbst-) Zensur: So wie die machthabenden Eliten in Zentralasien Eingriffe in die eigenen Wahlen ablehnen, mischen sie sich auch nicht in die inneren Angelegenheiten Russlands ein. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, achten Expert*innen und Kommentator*innen penibel darauf, die Parteinahme für bestimmte (insbesondere oppositionelle) Kandidaten zu vermeiden.
Schließlich gibt es auch keine Tradition der Wahlanalyse. Das Medien-Monitoring des ODIHR der OSZE während des Präsidentschaftswahlkampfes in Kirgistan 2017 ergab, dass 68 Stunden bezahlter Wahlwerbung nur 19 Stunden informativer Wahlkampfberichterstattung gegenüberstanden.
Verlust der Vormachtstellung
Russland ist zwar immer noch ein sehr wichtiger Akteur in Zentralasien, doch nimmt seine Bedeutung allmählich ab. Zum einen drängen andere Mächte zunehmend in die Region, zum anderen haben die zentralasiatischen Regime gelernt, Beziehungen zu verschiedenen Partnern aufzubauen und für sich nutzbar zu machen. China, der größte Konkurrent Russlands, hat Russland bereits vor einigen Jahren als wichtigsten Investor und Handelspartner in Zentralasien abgelöst. Die geostrategische Lage der Region sowie ihr Rohstoffreichtum zieht aber auch andere regionale und globale Akteure wie die Türkei, den Iran, Indien, die EU und die USA an, die um politischen Einfluss und Ressourcenzugriff konkurrieren.
Darüber hinaus hat die russische Bevölkerung in allen fünf zentralasiatischen Staaten stetig abgenommen. In Kasachstan machen ethnische Russ*innen immer noch knapp 24 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. In den anderen vier Staaten liegt der Anteil der ethnisch russischen Bevölkerung zwischen vier Prozent (Turkmenistan) und sechs Prozent (Kirgistan). Darüber hinaus bemühen sich die Regierungen in allen fünf Staaten um die Stärkung der nationalen Kultur und Sprache, was häufig zu Lasten des sowjetischen Erbes und der russischen Sprache geht. Trotz der gemeinsamen Vergangenheit und der wirtschaftlichen und politischen Verbindungen hat Russland seine unbestrittene Vormachtstellung in Zentralasien verloren. Die zentralasiatischen Staaten haben ihre außenpolitischen Beziehungen diversifiziert und sind heute nicht mehr ausschließlich von Russland abhängig.
Keine Veränderungen für Zentralasien?
Auf den ersten Blick wird sich für die fünf zentralasiatischen Länder nach dem 18. März nicht viel ändern. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass sich bereits während Putins letzter Amtszeit eine Menge geändert hat. Russland ist von einer schweren Wirtschaftskrise getroffen worden, deren Effekte auch die zentralasiatischen Volkswirtschaften zu spüren bekamen. In Usbekistan und Kirgistan hat es Regimewechsel gegeben. China hat Russland als wichtigster wirtschaftlicher Akteur in Zentralasien abgelöst und sein massives Infrastrukturprojekt „Belt and Road“ lanciert, das Russlands regionale Vormachtstellung herausfordert. Russland, Kasachstan und Belarus haben mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (EEU) das erste funktionierende Integrationsprojekt in Eurasien gegründet.
Schließlich spielen die fünf „Stans“ nun eine prominentere Rolle in Moskaus außenpolitischen Interessen, nicht zuletzt seit dem Beginn des Ukrainekonflikts 2014, der Russlands westliche Nachbarregion weiter fragmentiert hat. In den letzten Jahren hat Putin den bilateralen Austausch mit allen fünf zentralasiatischen Staaten merklich intensiviert. Gleichzeitig war die Annektierung der Krim aber auch ein Schock für die zentralasiatischen Regime. Insbesondere Kasachstan mit seiner großen russischen Minderheit im Norden des Landes war nicht begeistert. Äußerungen des Anführers der Liberaldemokratischen Partei Russlands, Wladimir Schirinowskij, über die Eingliederung der zentralasiatischen Republiken als Föderationssubjekte Russlands, belasteten die Beziehungen zusätzlich.
Die Zeit nach Putin
Trotz aller Konflikte haben die zentralasiatischen Regierungen in Wladimir Putin einen stabilen und mehr oder weniger berechenbaren Partner, der die Stabilität und das Überleben ihrer Regime unterstützt. Da die russische Verfassung eine weitere, fünfte Amtszeit Putins nicht zulässt, ist die Frage, wer Putin 2024 ablösen und wie sich der Kampf um seine Nachfolge in den kommenden sechs Jahren entwickeln wird, deutlich interessanter. Autokratische Eliten sind gewöhnlich vor allem am eigenen Überleben interessiert und richten ihre Loyalität an den Kandidaten aus, von denen sie am ehesten erwarten, dass sie das wirtschaftliche und politische Überleben der Eliten sicherstellen können. Die zentralasiatischen Präsidenten werden in den kommenden Jahren genau verfolgen, was in den Regierungszirkeln Russlands passiert. Im Gegensatz zu russischen Eliten haben sie allerdings nicht die Macht, ihrem Wunschkandidaten zur Macht zu verhelfen.
Ann-Sophie Gast ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS und Redaktionsmitglied der Zentralasien-Analysen.