ZOiS Spotlight 19/2019

Die europäische Flüchtlingskrise und der Schutz für Geflüchtete in Polen

Von Karolina Lukasiewicz 15.05.2019
Demonstration für die Unterstützung von Geflüchteten 2015 in Krakau, Polen Witajcie w Krakowie // Welcome to Krakow

Am 15. Mai wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) Anhörungen zu den Verfahren der Europäischen Kommission gegen Polen, die Tschechische Republik und Ungarn abhalten, weil diese ihre Verpflichtungen zur Umverteilung von Geflüchteten nicht erfüllt haben. Der Rat der Europäischen Union (EU) hat im September 2015 einen Mechanismus zur "vorübergehenden und ausnahmsweisen Umsiedlung" von Geflüchteten verabschiedet, um auf die humanitäre Krise in Italien und Griechenland zu reagieren, nachdem plötzlich eine große Zahl Asylbewerber*innen in diese Länder gekommen war. Dieser Mechanismus verpflichtet andere Mitgliedstaaten, insgesamt rund 120.000 Asylsuchende aufzunehmen. Die meisten Staaten haben weniger als ein Drittel der zugesagten Zahl an Flüchtlingen aufgenommen, Polen und Ungarn waren die einzigen Länder, die keine Flüchtlinge aufgenommen haben.

In Polen hatte ursprünglich die damalige Ministerpräsidentin Ewa Kopacz von der Partei Bürgerplattform zugesagt, 6.182 Asylsuchende aufzunehmen. Ihre Nachfolgerin Beata Szydło von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die das Amt im November 2015 übernahm, weigerte sich, an dem Umverteilungsmechanismus teilzunehmen. Diese Haltung wurde von anderen Politiker*innen der PiS-Partei unterstützt, unter anderem von Präsident Andrzej Duda und dem jetzigen Ministerpräsidenten, Mateusz Morawiecki, der vor dem Europäischen Parlament im Juli 2018 argumentierte, dass Polen bereits anderthalb Millionen Ukrainer*innen aufgenommen habe. Als Antwort erklärten NGOs, die mit Flüchtlingen arbeiten, wie auch liberale Medien in Polen, dass ukrainische Arbeiter*innen, die mit Arbeitserlaubnis nach Polen kommen, keine sozialstaatliche Unterstützung erhalten, anders als Flüchtlinge, die durch die Flüchtlingskonvention von 1951 geschützt werden.

Die jüngsten Schritte gegen den Schutz von Geflüchteten

Der Rückzug der polnischen Regierung aus dem Umverteilungsmechanismus für Flüchtlinge ist einer von vielen Schritten, die die regierende PiS-Partei gegen den Schutz von Geflüchteten unternommen hat. Ein weiterer Schritt war die Zurückweisung von Asylanträgen an den polnischen Grenzen. Die polnische Helsinki-Stiftung für Menschenrechte, Human Rights Watch, die Gesellschaft für rechtliche Einmischung und Amnesty International haben berichtet, dass wiederholt Personen, die versuchten, einen Asylantrag an der polnischen Grenze zu stellen, dieses Recht verweigert wurde.

Selbst nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vorläufige Maßnahmen erlassen hatte, die die Zurückweisung von Personen untersagt, die ihre Absicht erklärt hatten, Asyl zu beantragen, änderte sich die Lage nicht.

Zusätzlich zu der Weigerung, sich am Umverteilungsmechanismus in der EU zu beteiligen und Asylanträge zurückzuweisen, änderte die polnische Regierung die Mechanismen der Zuteilung von EU-Mitteln an NGOs, die in Polen für Flüchtlinge arbeiten. Dadurch erhielten Organisationen, die sich jahrzehntelang für den Schutz von Geflüchteten eingesetzt hatten, keinen Zugang mehr zu diesen Zuwendungen der EU. Als Reaktion setzten einige Organisationen Crowdfunding-Plattformen ein, um Gelder zur Gewährleistung ihrer Dienste zu erhalten. Allerdings ist diese Lösung zu großen Teilen wenig nachhaltig.

Eine etablierte Geschichte der Flüchtlingshilfe

Der Diskurs der PiS zum Thema Flüchtlinge hat oft im Widerspruch zu bestehenden Fakten gestanden. Entgegen den Behauptungen von Politiker*innen der Partei kamen die meisten Flüchtlinge in Polen (mit zwei Dritteln aller Asylanträge von 1992 bis 2016) aus der überwiegend muslimischen Republik Tschetschenien, und nicht aus der Ukraine. Flüchtlinge hat es in Polen schon seit Jahrzehnten gegeben, sie sind also keine „neue Bedrohung“. Darüber hinaus hat Polen über die vergangenen 27 Jahre ein Schutzsystem für Geflüchtete entwickelt, das nach Angaben der polnischen Ausländerbehörde viele Asylanträge verarbeiten kann. Somit werden Statements von Politiker*innen widerlegt, denen zufolge das Land nicht mehr Anträge bearbeiten könne, als das gegenwärtig geschieht.

Seit der Schaffung des polnischen Systems für den Flüchtlingsschutz im Jahr 1992 haben bis 2016 über 150.000 Personen einen Flüchtlingsstatus in Polen beantragt. Rund 23.000 haben Schutz erhalten, entweder einen Flüchtlingsstatus, eine Duldung, subsidiären Schutz oder Asyl. Das polnische System zum Flüchtlingsschutz entwickelte sich in Übereinstimmung mit dem allgemeinen EU-Rahmen.

Asylsuchende, die rund ein Jahr warten müssen, bis ihre Fälle in Polen bearbeitet werden, sind in offenen Aufnahmezentren, privaten Unterkünften ihrer Wahl, bewachten Heimen oder in Haftzentren untergebracht. Nachdem ihnen internationaler Schutz gewährt wurde, können sie zwölf Monate an individuellen Integrationsmaßnahmen teilnehmen. Sie erhalten oft Barzuwendungen, Polnischkurse, Beratung sowie Zugang zu Arbeitsämtern und zum Gesundheitswesen. Flüchtlinge in Polen haben das Recht, sich an Institutionen der sozialen Fürsorge zu wenden und unter den gleichen Bedingungen Unterstützung zu erhalten wie Bürger*innen Polens.

Angesichts der Bedürfnisse der Flüchtlinge sind die Integrationshilfen allerdings nicht ausreichend und funktionieren vor Ort nur mangelhaft. Es fehlen Integrationsmaßnahmen, die auf die angestammten polnischen Gemeinschaften ausgerichtet sind, in denen die Flüchtlinge leben. Diese Gemeinschaften diskriminieren Flüchtlinge, wenn es um Wohnung, Arbeit und Bildung geht.

Fehlende Solidarität im Land der Solidarność?

Das Thema Flüchtlinge war in Polen zu weiten Teilen außerhalb des Mainstream-Diskurses geblieben. Es wurde vor den Parlamentswahlen 2015 von führenden Politiker*innen der PiS aufgegriffen, um politische Unterstützung zu gewinnen. Der Diskurs der PiS beschwor Islamophobie, Euroskepsis, Anti-Internationalismus und Antisemitismus, um Flüchtlinge als muslimische Bedrohung und Sicherheitsproblem darzustellen. Das korrespondierte gut mit der historischen „Fetischisierung des Nationalstaats“ und ethnisch begründeten Definitionen, wer ein*e echte*r Pol*in ist.

Im Gefolge dieses Diskurses kam es zu einem Rückgang hinsichtlich der historisch großen Unterstützung der Pol*innen für eine Aufnahme von Flüchtlingen. Im Mai 2015 sprachen sich 72 Prozent der befragten Pol*innen dafür aus, Flüchtlinge aufzunehmen, bis Ende 2017 war dieser Wert auf nur 33 Prozent zurückgegangen. Ein ähnlicher Meinungswandel erfolgte in Bezug auf den Umverteilungsmechanismus der EU. 2015 waren 45 Prozent der Pol*innen für den Mechanismus, Ende 2017 wurde er von nur 20 Prozent unterstützt. Unter jungen Pol*innen war der Rückgang am stärksten.

Gleichzeitig sprachen sich nur 15 Prozent für eine Aufnahme muslimischer Flüchtlinge aus, selbst als Polen kurz davorstand, EU-Gelder zu verlieren, weil es sich weigerte, beim Umverteilungsmechanismus mitzumachen. 2017 unterstützten 17 Prozent der PiS-Wähler*innen und 64 Prozent der Wähler*innen der Bürgerplattform eine Aufnahme von Flüchtlingen. Gezielt nach der Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen gefragt, wurde dies mehrheitlich befürwortet, nämlich von 62 Prozent, sogar von PiS-Wähler*innen.

Unterstützung für Flüchtlinge auf lokaler Ebene

Während die PiS mit der Unterstützung vieler Pol*innen eine flüchtlingsfeindliche Politik entwickelte, erlebte der Aktivismus von Graswurzelinitiativen aus Solidarität mit Flüchtlingen in den polnischen Städten eine Blüte. Zu den Initiativen gehören unter anderem Chlebem i Solą (dt.: „Mit Brot und Salz“), Uchodźcy.info („Flüchtlinge.info“) und Witajcie w Krakowie („Willkommen in Krakau“). Bereits 2015 kam es zu verschiedenen faktenbasierten Kampagnen, die eine breitere Öffentlichkeit darüber zu informieren begannen, wer diese Flüchtlinge sind und warum sie nach Europa kommen wollen.

Unterstützung für Flüchtlinge wurde auch auf kommunaler Ebene durch die Bürgermeister*innen von zwölf großen Städten bekundet, unter anderem vom Danziger Bürgermeister Paweł Adamowicz, auf den im Januar 2019 ein tödlicher Anschlag verübt wurde. Die Flüchtlinge, die vor 2015 im öffentlichen Diskurs in Polen kein Thema waren, gewannen plötzlich viele aktive Unterstützer*innen. Allerdings blieben deren Stimmen, anders als jene der PiS-Politiker*innen, relativ ungehört, sowohl in den polnischen Mainstream-Medien, als auch in der internationalen Presse.


Karolina Lukasiewicz ist Postdoc-Forschungsstipendiatin am McSilver Institute for Poverty Policy and Research und Dozentin an der Silver School of Social Work der New York University. Derzeit ist sie DAAD-Stipendiatin und Gastwissenschaftlerin am ZOiS.