ZOiS Spotlight 10/2024

Das traurige Schicksal von Yandex: Vom unabhängigen Technologie-Startup zum Propagandawerkzeug des Kremls

Von Daria Kravets-Meinke 15.05.2024

Auf politischen und rechtlichen Druck hin verkaufte die russische Suchmaschinen- und Technologiefirma Yandex im Februar 2024 ihr Russlandgeschäft an einen Investmentfond mit engen Beziehungen zum Kreml – scheinbar der vorerst letzte Schritt ihrer Vereinnahmung durch Russlands herrschende Eliten.

Der Hauptsitz von Yandex in Moskau. Bild bearbeitet unter CC BY-SA 4.0 DEED

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.

Als sich das russische Militär am 31. März 2022 aus der ukrainischen Stadt Butscha zurückzog, erfuhr die Welt von den Gräueltaten, die russische Truppen während der Besatzung an ukrainischen Zivilist*innen verübt hatten. In den Tagen darauf veröffentlichten westliche Medien Bilder von Leichen in den Straßen Butschas und Massengräbern. Butscha wurde zum Symbol für die Kriegsverbrechen durch russische Truppen in der Ukraine.

Auf Russlands führender Suchmaschine Yandex ergab die Bildersuche nach „Butscha“ Anfang April 2022 jedoch kein Ergebnis, das den Massenmord an ukrainischen Zivilist*innen zeigte – ganz anders als etwa auf Google. Stattdessen sah man auf Yandex ausschließlich Bilder, die Butscha als malerisches Urlaubsziel zeigten (Abbildung 1). Dieser Mangel an politischer Neutralität in der Darstellung des Krieges bei Yandex löste öffentliche Empörung aus. Zahlreiche Yandex-Mitarbeiter*innen verließen das Unternehmen aus Protest und warfen ihm vor, dem Kreml als Propagandawerkzeug zu dienen und Informationen über den Krieg aktiv zu verbergen.

Abbildung 1: Ergebnisse der Bildersuche nach „Butscha“ auf Yandex und Google

Quelle: Meduza

Wie der Kreml sich die Yandex-Algorithmen aneignet

1997 als unabhängiges Unternehmen von den beiden Schulfreunden Arkadij Wolosch und Ilja Segalowitsch gegründet, wurde Yandex – kurz für „Yet Another iNDEX“ – schnell zur führenden Suchmaschine in Russland und übertraf sogar Google. Im März 2024 war Yandex für ungefähr 70 Prozent aller Suchanfragen in Russland verantwortlich.

Yandex ist jedoch viel mehr als nur eine Suchmaschine: Es ist praktisch das Tor zum russischen Internet und bietet Nachrichten, Wetterberichte, einen virtuellen Marktplatz, Videos, E-Mail-Postfächer, Blogs, Essenslieferungen und mehr. Obwohl Yandex seit 2007 offiziell in den Niederlanden gemeldet ist – eine häufig von russischen Unternehmen genutzte Strategie, um weniger anfällig gegenüber regulatorischen Änderungen in Russland zu sein – haben seine Gründer stets darauf bestanden, dass es sich im Kern um ein russisches Unternehmen handelt.

Trotz des anfänglichen Widerstands von Yandex ist die politische Vereinnahmung seiner Algorithmen durch Russlands herrschende Eliten über die Jahre hinweg immer weiter vorangeschritten. Berichten zufolge begann es kurz nach Russlands Krieg in Georgien 2008, dass Yandex regelmäßig Besuch von Vertreter*innen des Kremls bekam. Schon damals verlangten die russischen Behörden von Yandex, in den Suchergebnissen und auf seinem Nachrichtenportal nur Artikel aus Quellen anzuzeigen, die vom Kreml abgesegnet wurden. 2009 erklärte der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew Yandex zu einem Unternehmen von nationaler Bedeutung. Yandex sogenannte goldene Aktie, die ihrem Besitzer erhebliche Kontrolle über die strategischen Entscheidungen des Unternehmens verschafft, wurde daraufhin für 1 Euro an die staatseigene Bank Sberbank verkauft.

Von da an sah sich Yandex mit immer mehr rechtlichen und regulatorischen Maßnahmen konfrontiert, die vorschreiben, welche Webseiten es von seinen Diensten auszuschließen und welche Informationen es an die Behörden zu übermitteln hatte. Ihren Höhepunkt fanden diese Maßnahmen in einem Gesetz von 2016, das Yandex dazu zwang, alle Nachrichtenseiten von seinem Nachrichtenportal auszuschließen, die nicht bei Roskomnadsor registriert sind, Russlands staatlicher Kommunikationsaufsicht. Umgangssprachlich ist diese auch als „Zensurministerium“ bekannt.

Angesichts erneuten Drucks durch ein russisches Gesetz, das ausländische Beteiligungen an russischen Internetunternehmen begrenzen sollte, wurde die goldene Aktie 2016 an eine neugegründete und nur vage definierte gemeinnützige Stiftung übertragen. Durch die Stiftung war die russische Regierung befugt, sich in Yandex-Geschäfte einzumischen und das Management des Unternehmens vorübergehend zu ersetzen, wenn sie es als dem nationalen Interesse dienlich betrachtet.

Was die indirekte Einflussnahme betrifft, wird allgemein angenommen, dass Yandex aufgrund seiner Rivalität mit Google Konflikte mit den russischen Behörden vermeiden wollte, um seine wirtschaftlichen Interessen zu schützen. Im Gegensatz dazu hatte Google wegen seiner globalen finanziellen Unabhängigkeit vom russischen Markt angeblich mehr Spielraum, um sich den Vorschriften der Behörden zu widersetzen. Die russischen Behörden unterstützen Yandex im Gegenzug in seinem Konkurrenzkampf mit Google. Zum Beispiel leiteten die Behörden nach einer Beschwerde von Yandex ein Kartellverfahren gegen Google ein mit dem Vorwurf, auf seinem Android-Betriebssystem seine eigenen Dienste zu bevorzugen. Dadurch wurde Google gezwungen, Android-Nutzer*innen in Russland die Wahl zwischen verschiedenen Standardsuchmaschinen zu bieten, darunter auch Yandex.

Der Kreml hat mehrere erfolgreiche Versuche unternommen, sich die Algorithmen von Yandex zunutze zu machen: Im Februar 2017, kurz nachdem der kürzlich verstorbene russische Oppositionsführer Alexej Nawalny seine Kampagne für die Präsidentschaftswahl gestartet hatte, sperrte Yandex Nawalnys elektronisches Wallet, über das Spenden gesammelt wurden. 2019 bestätigte Yandex, dass es Verschlüsselungsschlüssel für Nutzer*innendaten an den russischen Geheimdienst weitergegeben hatte. 2020 wiesen Berichte darauf hin, dass Yandex in den Suchergebnissen für „Nawalny“ größtenteils negative Informationen priorisierte. Und 2021 folgte Yandex Anweisungen der Behörden, die Internetseite der „Smart Voting“-Kampagne aus den Suchergebnissen zu entfernen – eine Initiative Nawalnys mit dem Ziel, Wähler*innen hinter Kandidat*innen zu versammeln, die eine Chance hatten, die Kandidat*innen der Partei von Präsident Wladimir Putin zu schlagen.

Yandex nach Russlands umfassender Invasion der Ukraine

Infolge des umfassenden Einmarschs Russlands in die Ukraine 2022 verhängte die EU Sanktionen gegen Yandex-Mitbegründer und Geschäftsführer Wolosch wegen Beihilfe bei der Verbreitung kremlfreundlicher und antiukrainischer Propaganda. Durch neue Gesetze in Russland unter Druck gesetzt, die die Verbreitung von „Falschinformationen“ über die russische Armee mit Strafen von bis zu 15 Jahren Gefängnis belegen, verkaufte Yandex eine seiner zentralen Dienstleistungen nach der Suchmaschine, das Nachrichtenportal Yandex.News, zusammen mit dem Infotainmentservice Yandex.Dzen an das staatlich kontrollierte Unternehmen VK.

Diese sogenannten toxischen Vermögenswerte wurden von den russischen Behörden genau unter die Lupe genommen. Durch ihren Verkauf hoffte Yandex, seine anderen Geschäftsbereiche, einschließlich der Suchmaschine, zu schützen. Neben diesen Vermögenswerten verkaufte Yandex auch seine Hauptdomain yandex.ru. Mit Stand vom Mai 2024 werden Nutzer*innen, die „yandex.ru" in ihren Browser eintippen, automatisch auf die Plattform dzen.ru des Unternehmens VK umgeleitet, die der ursprünglichen Yandex-Homepage stark ähnelt. Yandex selbst zog auf eine neue Domain um, ya.ru.

Im Juni 2022 trat Wolosch als Geschäftsführer von Yandex zurück und verließ Russland. Im August 2023 verurteilte er öffentlich die russische Invasion der Ukraine. Nach langen Verhandlungen und angesichts wachsenden politischen und rechtlichen Drucks verkündete Yandex im Februar 2024 den Verkauf seines Russlandgeschäfts an einen Investmentfond, der aus Investor*innen mit engen Verbindungen zum Kreml besteht.

Der Großteil der politisch relevanten Dienstleistungen von Yandex wie die Suchmaschine, der E-Mail-Dienst und der Sprachassistent werden in Russland unter der Kontrolle des Kremls verbleiben. Sie werden in einer gleichnamigen neuen Firma zusammengeführt, die in Russland registriert ist. Wolosch und der niederländische Teil von Yandex werden einige ihrer Unternehmensanteile außerhalb Russlands behalten, wobei es sich hauptsächlich um Startups in den Bereichen Autonomes Fahren, Cloud Computing und künstliche Intelligenz handelt. Allerdings werden sie versuchen, ihr Unternehmen bis August 2024 einem Rebranding zu unterziehen. Das Geschäft wurde zu einem Preis von 5,2 Milliarden US-Dollar abgeschlossen, etwa einem Sechstel dessen, was die Yandex-Aktien vor der Invasion wert waren.

Das Schicksal von Yandex veranschaulicht, wie die herrschenden Eliten in Russland es geschafft haben, sich insbesondere durch legislative und regulatorische Maßnahmen die Algorithmen des Unternehmens politisch anzueignen, um es in ein Propagandawerkzeug des Kremls zu verwandeln. Damit folgt Yandex anderen digitalen Dienstleistungsplattformen in Russland, die aus den vergleichsweise liberalen frühen Jahren des Internets in Russland hervorgegangen sind. Dazu zählen etwa die sozialen Netzwerke Vkontakte und Odnoklassniki, die Nachrichtenkanäle gazeta.ru und lenta.ru oder der Suchmaschinenanbieter und News-Aggregator Rambler. Nachdem Versuche des Kremls, eigene digitale Dienstleistungsplattformen aufzubauen, weitestgehend gescheitert waren, machte er sich stattdessen den Erfolg bestehender, markterprobter Tools zunutze und vereinnahmte sie als seine Sprachrohre.


Daria Kravets-Meinke forscht und promoviert an der Universität Passau.

Danksagung

Dieser Beitrag wurde gefördert durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms der Europäischen Union „Horizont 2020“ (Fördervereinbarung Nr. 819025). Er ist Teil des ERC-Consolidator-Projekts „Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Russlands informationellen Einfluss im Ausland“.