ZOiS Spotlight 20/2022

Energie-Sorgen bei den G7

Von Margarita M. Balmaceda 25.05.2022
Ein Tanker am LNG-Terminal in Prigorodnoye, Sachalin (Russland). IMAGO / ITAR-TASS

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.

Energiefragen stehen ganz oben auf der Tagesordnung, wenn sich die Umwelt-, Klima- und Energieminister*innen der G7-Staaten vom 25. bis 27. Mai in Berlin treffen. Grundsätzlich sind sich die G7 einig, dass sie ihre Abhängigkeit von russischer Energie drastisch verringern wollen. Doch unter der Oberfläche schwelen Konflikte. Um diese Spannungen zu verstehen, muss man die unterschiedlichen Funktionsweisen der Märkte für verschiedene Energieträger berücksichtigen. Das wird insbesondere im Fall von Erdöl und Flüssigerdgas (LNG) deutlich.

Die Segmentierung des Ölmarkts und die Beziehungen zur G20

Das G7-Treffen wird wahrscheinlich Spannungen zur Schwesterorganisation, der G20, zum Vorschein bringen. In einer gemeinsamen Erklärung vom 8. Mai kündigten die Regierungen der G7 an, den Import russischen Öls auslaufen zu lassen oder vollständig zu verbieten. Solange Russland sein Öl jedoch anderswo verkaufen kann, wird dieser Schritt an den Einnahmen des Landes wenig ändern. Und willige Abnehmer*innen stehen bereit, zum Beispiel Indien, das seit Russlands Invasion der Ukraine im Februar 2022 doppelt so viel russisches Öl importiert hat wie im gesamten Jahr 2021 zusammen.

Die Attraktivität des russischen Öls lässt sich in diesem Fall mithilfe des Phänomens der Marktsegmentierung erklären. Verschiedene Ölsorten – oder „Marken“ – mit unterschiedlichen Raffinationseigenschaften werden auch zu unterschiedlichen Preisen verkauft. Da viele westliche Kunden sich vom Urals-Öl, Russlands wichtigster Rohölsorte, abwenden, ist sein Preis seit Februar gegenüber dem globalen Vergleichsmaßstab Brent deutlich gesunken. Eine der zentralen Herausforderungen für die Regierungen der G7 ist daher, Staaten wie Indien Anreize zu liefern, sich an den westlichen Sanktionen gegen Russland zu beteiligen, oder einen gewissen Druck auf sie aufzubauen oder sogar sekundäre Sanktionen zu erlassen. Da Indiens Premierminister Narendra Modi als besonderer Gast zum G7-Treffen eingeladen ist – offenbar um Indien davon zu überzeugen, seine Beziehungen zu Russland zu überdenken – werden diese Fragen für die Beteiligten von zentraler Bedeutung sein.

Japans problematische LNG-Investitionen in Russland

Auch innerhalb der G7 gibt es Spannungen. Ein zentraler Streitpunkt sind die japanischen Investitionen in russische Energieprojekte. Am 9. Mai kündigte der japanische Premierminister Fumio Kishida zwar einen graduellen Ausstieg seines Landes aus den russischen Ölimporten an, fügte aber gleichzeitig einschränkend hinzu, dass Japan „weiter seine Interessen an Öl- und Gasprojekten im Fernen Osten Russlands verfolgen“ werde. Das widerspricht sowohl dem Geist der Sanktionen, die die EU und die USA verhängt haben, als auch der Haltung, die von weltweit führenden Energieunternehmen wie Shell und BP eingenommen wurde, die sich um einen Ausstieg aus ihren Investitionen in Russland bemüht haben.

Im Zentrum stehen Japans Investitionen in russische Verarbeitungsanlagen für LNG: Das japanische Konsortium SODECO hält Anteile von 30 Prozent am Projekt Sachalin I; Mitsui und Mitsubishi sind gemeinsam mit einem Anteil von 22,5 Prozent an Sachalin II beteiligt; und die Japan Oil, Gas, and Metals National Corporation (JOGMEC) verfügt gemeinsam mit Mitsui über Anteile von 10 Prozent am Projekt Arctic LNG-2 des russischen Unternehmens Novatek, das 2025 in Betrieb gehen soll. Japan bezieht zwar nur 9 Prozent seiner LNG-Importe aus Russland. Würde das Land jedoch auf den Zugang zu diesen Reserven verzichten, würde dies die Preise auf dem ohnehin schon durch einen harten Wettbewerb überhitzten Markt für LNG in Anbetracht des allgemeinen Anstiegs der LNG-Preise auf den asiatischen Märkten und einer neuen europäischen Nachfrage weiter in die Höhe schnellen lassen. 

Im Allgemeinen gilt der Markt für LNG als sehr liquide, gleicht also mehr dem Öl- als dem gewöhnlichen Erdgasmarkt. Er ist aber auch nach Vertragsarten segmentiert. Der Spotmarkt, auf dem Lieferung, Abnahme und Bezahlung innerhalb von zwei Tagen abgewickelt werden müssen, ist mittlerweile besonders stark umkämpft. Auch die Beschaffung von Nachschub ist nicht ganz einfach, da Ladungen teilweise sogar mitten auf dem Ozean ihren Bestimmungsort wechseln, wenn auf anderen Märkten höhere Preise erzielt werden können. Das Projekt Sachalin II verspricht den investierenden japanischen Energiefirmen garantierte Mengen LNG, die sich auf fast zehn Millionen Tonnen pro Jahr belaufen. Aus ihrem Investment auszusteigen, würde sich wahrscheinlich auf die zugrundeliegenden Verträge auswirken.

Chancen und Risiken

Dass Japan an diesen Investitionen weiter festhält, wird offiziell damit begründet, dass die damit verbundenen Vermögenswerte und LNG-Mengen sonst an China und Russland fallen könnten, und Japan langfristig mehr für seine Energieimporte zahlen müsste. Das bestätigt die Ergebnisse meines Buches Russian Energy Chains: the Remaking of Technopolitics from Siberia to Ukraine to the European Union. Darin wird deutlich, dass die Einbindung in russische Energieexportketten für die Ukraine und die Staaten der EU zwar Gefahren, aber gleichzeitig auch Chancen – ja gar Versuchungen – mit sich gebracht hat. Offensichtlich wurde dies nach der russischen Invasion der Ostukraine im Jahr 2014, als die europäischen Staaten nicht nur weiter fossile Brennstoffe aus Russland importierten, sondern ihre Importe sogar noch steigerten. Dass Japan nun eine ähnliche Haltung einnimmt, ist also nicht überraschend.

Jetzt aber, wo die EU und die USA ihre Politik der Energieimporte radikal überdenken, ist dieser Standpunkt politisch nicht mehr vertretbar. Beobachter*innen können nur hoffen, dass die G7-Gespräche zu einem stärkeren Bekenntnis Japans führen werden, sich aus seinen Verstrickungen mit Russland im Energiesektor zu befreien. Versuche der G7, Indien dazu zu bewegen, sich den Sanktionen anzuschließen, werden ohne ein solches Bekenntnis unglaubwürdig sein.


Margarita M. Balmaceda ist Professorin für Diplomatie und Internationale Beziehungen an der Seton Hall University.