ZOiS Spotlight 3/2023

Kosovo und Serbien – Vom Schlendern am Rande der Eskalation

Von Vedran Dzihic 08.02.2023

Der seit Jahrzehnten brodelnde Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo stand in den vergangenen Monaten erneut an der Schwelle eines bewaffneten Ausbruchs. Ein politischer Kompromiss scheint dringend notwendig, doch auch das Narrativ der ewigen Feindschaft und Unversöhnlichkeit muss überdacht werden.

Polizeipatrouille in der Nähe einer Straßenblockade im Norden des Kosovo Ende Dezember 2022. IMAGO / VXimages.com

In den letzten Wochen und Monaten hätte man bei einem flüchtigen Blick von außen auf Serbien und den Kosovo leicht den Eindruck gewinnen können, dass ein heftiger Ringkampf zwischen zwei politischen Boxern alles überstrahlt – zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem kosovarischen Premierminister Albin Kurti. Rund um den Ring hätte man wohl eine interessante und ziemlich internationale Publikumsmischung gesehen – auf der einen Seite des Saals Zuschauende aus Russland und China, auf der anderen aus den USA und der EU, dazwischen einige aus Ungarn und aus benachbarten Staaten wie Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Albanien. Was sich da im Ring zwischen dem seit 2008 unabhängigen Kosovo auf der einen Seite und Serbien, das weiterhin die ehemalige serbische Provinz beansprucht, auf der einen Seite abspielt, mutet wie ein ewiger Konflikt an.

Zwischen Serbien und dem Kosovo brodelt es in der Tat seit langer Zeit. Noch im sozialistischen Jugoslawien spitzte sich der Konflikt zu und wurde ab 1981 immer virulenter. Auf serbische Repressionen der 1990er Jahre folgte der Krieg zwischen serbischen Kräften und der Kosovarischen Befreiungsarmee UCK, den die NATO 1999 zugunsten des Kosovo entschied. Auf die mühsamen Jahre der Postkriegsentwicklung unter der Ägide der UN folgte ab der einseitigen Ausrufung der Unabhängigkeit im Jahr 2008 ein schrittweiser Staatswerdungsprozess des Kosovo. Serbien bekämpft seitdem die kosovarische Unabhängigkeit und hat de facto die Hausmacht im serbisch besiedelten Norden des Kosovo.

Eskalationsspirale seit Sommer 2022

Als im Sommer 2022 die Regierung in Prishtina neue Maßnahmen zur Regelung der Autokennzeichen und des Personenverkehrs zwischen Serbien und dem Kosovo umsetzen wollte, eskalierte die Situation schnell. Belgrad deutete die Maßnahme als Provokation, drohte mit Krieg und mobilisierte die Armee. Auf Drängen der US-Regierung, die in der Region neuerdings alles daransetzen, dem russischen Einfluss einen Riegel vorzuschieben, konnte man im Spätherbst die Lage kurzfristig deeskalieren. Doch im Dezember drehte sich die Eskalationsspirale weiter. Im Kosovo kam es zu Straßenblockaden und es fielen Schüsse, die auch den Westen noch einmal daran erinnerten, wie schnell dieser Konflikt eskalieren und die Sicherheit in der Region und Europa gefährden kann.

Die beiden zentralen Gegenspieler in diesem Konflikt sind Aleksandar Vučić und Albin Kurti.  Die beiden schenken sich weder politisch noch persönlich etwas. Kurti wird von Vučić-treuen Medien nahezu pausenlos beschimpft und dämonisiert. Vučić selbst bezeichnet ihn als „terroristischen Abschaum“. Albin Kurti bezeichnet Vučić hingegen als „Klein-Putin“ und Serbien als eine autoritäre russische Provinz.

Der russische Einfluss in Serbien ist tatsächlich sehr stark. Russland hat sich seit Beginn der neuen Spannungen im Norden des Kosovo Anfang August klar auf die Seite Serbiens gestellt. Man unterstützt das „Brudervolk“ und macht den „bösen Westen“ zum zentralen Widersacher, nicht nur in der Ukraine, sondern auch am Balkan. Seit Kurzem betreibt der vom russischen Staat finanzierte Fernsehsender Russia Today ein eigenes Programm auf Serbisch, das die stark prorussisch gestimmte Öffentlichkeit mit russischer Propaganda füttert. Auch russische Geheimdienste sind in Serbien tätig, es gibt Kooperation zwischen den Außenministerien und wohl auch direkte politische Absprachen. Das schlägt sich auch in Meinungsumfragen nieder. 40 Prozent der serbischen Bevölkerung nennen Russland als wichtigsten außenpolitischen Partner, die EU ist abgehängt mit 30 Prozent, danach kommt gleich China mit 24 Prozent. Der russische Präsident Wladimir Putin ist mit 45 Prozent der beliebteste ausländische Politiker in Serbien. Der chinesische Präsident Xi Jinping folgt mit 12 Prozent, der deutschen Kanzler Olaf Scholz liegt mit 5 Prozent am untersten Ende der Liste.

Ende der Schaukelpolitik Serbiens?

Präsident Vučić betrieb lange Zeit eine Schaukelpolitik zwischen dem Westen – den USA und der EU – auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite. Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine und nun auch der jüngsten Eskalation rund um den Kosovo scheint diese Schaukelpolitik zumindest in Bezug auf Russland an Grenzen zu stoßen. Im Januar 2023 drehte sich der realpolitische Wind und bläst nun beiden Akteuren im Konflikt, Vučić und Kurti, ins Gesicht. Ein westliches Fünfergespann, bestehend aus den Sonderbeauftragen der EU und der USA sowie Vertretern der Regierungen Frankreichs, Deutschlands und Italiens, besuchte Prishtina und Belgrad und machte beiden Seiten klar, dass man den Krisenherd nun mit einem substantiellen Abkommen entschärfen möchte, um nicht alle paar Monate am Rande eines bewaffneten Konflikts zu stehen.  Die Grundlage für diesen entscheidenden Schritt soll der sogenannte „deutsch-französische Plan“ sein. Kosovo und Serbien sollen sich laut diesem Vorschlag zwar nicht anerkennen, aber auch nicht in ihrer Entwicklung behindern.

Aleksandar Vučić schien anfänglich alles daran zu setzen, diese Idee zu torpedieren. Der Druck war jedoch zu groß und er vollzog im Januar eine scheinbare Wende, als er in der Primetime zur serbischen Öffentlichkeit sprach und ankündigte, dass Serbien bereit sei, den Plan zu akzeptieren. Tue Serbien dies nicht, so Vučić, drohen der Verlust der EU-Perspektive, die Rücknahme von Investitionen und weitreichende politische und wirtschaftliche Folgen. Im serbischen Parlament kam es dann Anfang Februar 2023 zu tumultartigen Szenen – die rechten Parteien bezichtigen Vučić des Verrats an der serbischen Sache und lehnen jeglichen Kompromiss mit dem Kosovo ab.

Auch Premierminister Kurti steht unter Druck. Als ein zentraler Bestandteil des Plans ist die Errichtung eines serbischen Gemeindeverbands vorgesehen. Kurti lehnt dies ab und verweist immer wieder darauf, dass er die Errichtung einer teils autonomen ethnisch definierten Einheit, wie sie die Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina darstellt, nicht akzeptieren wird. Vor allem die USA ärgern sich über diese aus ihrer Sicht sture Haltung und drohen Kurti sogar mit „möglichen politischen Alternativen“, die den Kompromiss ermöglichen würden. Das grundsätzliche Dilemma des Westens in Bezug auf beide Seiten liegt darin, dass man mit der derzeit sehr schwachen Perspektive der EU-Erweiterung kaum die beiden Akteure für Kompromisse motivieren kann. Aktuell spielen sowohl Vučić als auch Kurti wohl auf Zeit und setzen das politische Katz-und-Maus-Spiel fort.

Suche nach einem neuen Narrativ

In diesem Klima des Misstrauens, der Unversöhnlichkeit und der Erzählung vom bösen Anderen spiegeln sich die Jahrzehnte der angespannten Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo wider. Jede neue Eskalation vertieft die Gräben zwischen beiden Seiten und verbaut den Weg für ein friedliches Miteinander. Aus dieser Perspektive scheint ein politischer Kompromiss noch dringlicher zu sein. Langfristig wird man für eine radikale Verschiebung in der gegenseitigen Wahrnehmung kämpfen müssen. Statt des Narratives der ewigen Feindschaft und der Unversöhnlichkeit zwischen Kosovo-Albanern und Serben muss an einer neuen realutopischen Erzählung gearbeitet werden, nämlich jener von der Möglichkeit der Freundschaft zwischen beiden Nachbarn.


Dr. Vedran Dzihic ist Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik und Politologe an der Universität Wien.