ZOiS Spotlight 15/2021

Migration und ihre Folgen für Georgien

Von Diana Bogishvili 21.04.2021
Tbilisi, Georgien. IMAGO / Frank Sorge

Die Migration aus Osteuropa hat seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion stark zugenommen. Für das soziale Gefüge der Nachfolgestaaten ist die Abwanderung vieler vor allem junger Menschen eine Herausforderung. Georgien stellt hier keine Ausnahme dar. Die Migrationsbewegungen aus dem kaukasischen Staat sind im Wesentlichen durch drei Faktoren gekennzeichnet: die Rückkehr ethnischer Minderheiten in ihre Herkunftsländer, die Suche nach besseren sozioökonomischen Bedingungen und  Migration als Flucht vor Kriegen, Konflikten, politischen Unruhen und Korruption. Die Zielländer georgischer Migrant*innen sind in erster Linie Russland, die Ukraine, die USA und europäische Länder.

Dabei lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede beobachten. Migrant*innen bis zu einem Alter von 49 Jahren sind in der Mehrheit männlich, ab 50 überwiegt der Frauenanteil. Der Anteil männlicher und weiblicher Personen, die das Land verlassen, unterscheidet sich auch je nach Zielland: Nach Russland und in die Ukraine migrieren überwiegend Männer, wohingegen nach Griechenland, Italien und in die Türkei vor allem Frauen auswandern. Das ist vermutlich mit den unterschiedlichen Beschäftigungssektoren, wie auf dem Bau, in der Altenpflege oder in Privathaushalt, in diesen Ländern verbunden.

Nach offiziellen georgischen Angaben erfolgt Migration meistens aus den Großstädten.  Dabei handelt es sich überwiegend um junge und gut qualifizierte Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren, die teilweise in den Zielländern unterqualifiziert beschäftigt werden, aber dennoch durch ihr Einkommen ihre zurückgebliebenen Familien unterstützen und damit zur regionalen Stabilisierung beitragen können. Der oftmals beklagte Brain-Drain (Flucht des Humankapitals) wird so zu einem existenzsichernden Phänomen.

Chancenungleichheit bei Migration

Immer mehr junge Menschen aus Georgien entscheiden sich für ein Studium im Ausland. Die Auswanderung dieser Altersgruppe beeinflusst auch das demografische System des Landes. Familien werden häufig im Ausland gegründet, wodurch die Bevölkerung in Georgien zurückgeht. In Deutschland wird die Zahl der georgischen Migrant*innen im Jahr 2020 auf 27.315 Personen geschätzt. Nach aktuellen Angaben des National Statistics Office of Georgia ist Deutschland das wichtigste Zielland für georgische Bildungsmigrant*innen. Seit dem 15. Februar 2021 haben sich aber auch die Zugangsmöglichkeiten für ungelernte Kräfte verbessert. Deutschland gewährt georgischen Bürger*innen eine legale Beschäftigung in der Landwirtschaft. Auch wenn damit der ärmere, bildungsfernere oder arbeitslose Teil der Bevölkerung eine theoretische Chance auf saisonale Arbeitsmigration bekommt, sind die Voraussetzungen in der Realität für viele nicht erfüllbar, da häufig das nötige Startkapital zur Reisevorbereitung und Antragstellung fehlt. Außerdem sind Deutsch- oder Englischkenntnisse von Vorteil, die in der Regel ebenfalls nicht vorhanden sind.

Die in Georgien zurückgebliebenen Familienmitglieder sind oftmals auf die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Durch Überweisungen (remittances) von Migrant*innen an ihre Angehörigen werden weltweit viele Menschen unterstützt. Nach Schätzungen der Weltbank wurden 2017 Überweisungen in Höhe von 24.671.000.000 Dollar aus Deutschland in andere Länder geschickt. Die Summe privater Geldüberweisungen nach Georgien wird mit 1.794.000.000 Dollar beziffert. Davon wurden 49.000.000 Dollar alleine aus Deutschland überwiesen. Nach Angaben der georgischen Nationalbank kamen die meisten Geldtransfers der letzten Jahre aus Russland, Italien, Griechenland, USA, Israel, Türkei und Deutschland. Die Geldüberweisungen von Migrant*innen in die Heimat sind für Georgien eine wichtige Einnahmequelle und potentieller Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, da sie fast 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Die Höhe der Geldtransfers weist darauf hin, dass Georgier*innen im Ausland zunehmend gut in den Arbeitsmarkten integriert und daher in der Lage sind, Geld in die Heimat zu schicken.

Auswirkungen von Geldtransfers

Studien des Caucasus Research Resource Center (CRRC) aus dem Jahr 2019 zeigen, dass jüngere und besser ausgebildete Personen in größeren Städten mehr von Geldüberweisungen profitieren als die ältere Bevölkerung auf dem Land, die am meisten von Armut betroffen ist. Möglicherweise haben daher die Geldtransfers aus dem Ausland nicht die gewünschte Wirkung und tragen eher zur Verschärfung sozialer Ungleichheiten als zu deren Minderung bei. Ein weiterer negativer Punkt der Geldüberweisungen könnte der kurzfristige Effekt dieser Einkommensquelle für viele ärmere Empfänger*innen sein, da diese die Mittel meistens für den täglichen Bedarf ausgeben. Daneben können die Überweisungen ein Abhängigkeitsgefühl bei den Empfänger*innen erzeugen. Einer öffentlichen Befragung zufolge, betragen die Geldüberweisungen aus dem Ausland für fast jede zweite Familie drei Viertel des Familienbudgets und für 15 Prozent der Befragten waren sie die einzige Einnahmequelle. Dies wird im Falle des Arbeitsplatzverlustes des migrierten Familienmitglieds zu einem Problem für die Familie in Georgien. Die Migration von Familienangehörigen hat andererseits jedoch auch das Potential, die Lebensqualität der Zurückgebliebenen langfristig zu verbessern, indem Geldtransfers Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung ermöglichen oder in Immobilien investiert werden.

Migration beeinflusst also nicht nur die demographische Entwicklung Georgiens, sondern auch die wirtschaftliche Situation und das soziale Gefüge. Geldüberweisungen von Migrant*innen können einerseits einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität ihrer Familienangehörigen haben, andererseits ist dieser Prozess jedoch nicht immer nachhaltig. Die steigende Zahl von Migrant*innen und Geldtransfers in den letzten Jahren deutet darauf hin, dass sich die Effekte der Abwanderung auf ihr Heimatland in Zukunft noch verstärken dürften.


Diana Bogishvili ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS. Ihr Dissertationsprojekt trägt den Titel „Georgische Migrant*innen in Deutschland: Die Auswirkungen sozialer Transfers auf Ungleichheitsformen im Herkunftsland“.