ZOiS Spotlight 18/2024

Propaganda und Angst: Wie die georgische Regierungspartei „Georgischer Traum“ ihre Wähler*innen mobilisiert

Von Diana Bogishvili 02.10.2024

Vor den Parlamentswahlen in Georgien am 26. Oktober führt die georgische Regierung eine beispiellose Wahlkampagne. Dabei stilisiert sie die Wahl zu einem Votum, bei dem es um nichts weniger als die Rettung des Landes vor dem völligen Zerfall gehe – eine Entscheidung, die in der Hand der Wähler*innen liege.

Wahlplakate der Regierungspartei Georgischer Traum. Natia Akhvlediani

Am 26. Oktober dieses Jahres steht in Georgien eine entscheidende Parlamentswahl an. Es geht dabei nicht nur um die Wahl einer neuen Regierung – die Wähler*innen entscheiden auch über die Zukunft des Landes zwischen russischem Einfluss und einer europäischen Perspektive. Die politische Stimmung ist angespannt, was sich deutlich in der Rhetorik der Regierungspartei „Georgischer Traum“ widerspiegelt. Täglich finden sich auf Social-Media-Plattformen Stellungnahmen der Regierungspartei und ihrer Spitzenvertreter*innen. Dabei wird deutlich, dass die Regierung selbst die Wahl zu einer Schicksalswahl für das Land erklärt – und dabei nicht vor extremer Rhetorik zurückscheut. So betonte der ehemaliger georgische Premierminister Irakli Gharibaschwili: „Am 26. Oktober werden wir entweder Frieden, den Fortschritt und die Entwicklung des Landes sowie eine würdige europäische Zukunft wählen, oder wir wählen die Kriegspartei, die unweigerlich und mit Sicherheit Krieg, Chaos, Tod und Unglück bringen wird“.

Spaltung als Mobilisierungsinstrument

Der Georgische Traum regiert das Land seit 2012 – und in den vergangenen Jahren mit zunehmend autokratischen Tendenzen. Nun fürchtet sie offenbar, bei den kommenden Parlamentswahlen an Macht zu verlieren, denn in den letzten Monaten hat sich die Kommunikation der Partei spürbar verschärft. Besonders auffällig ist, wie häufig die Themen Frieden und Krieg im Kontext des russischen Krieges gegen die Ukraine in den Vordergrund gerückt werden. Diese dichotome Darstellung zielt darauf ab, die Wähler*innen vor eine klare Wahl zu stellen: entweder Stabilität unter der aktuellen Regierung oder Chaos und Krieg unter einer neuen Führung. Die Regierung schürt in ihren Aussagen die Angst vor dem Krieg und positioniert sich damit gegen die von der Opposition vertretene proukrainische und prowestliche Haltung.

Der Georgische Traum nutzt diesen Gegensatz gezielt aus und schafft in ihrer Rhetorik eine scharfe Trennung zwischen „unserer“ Seite und der „Gegenseite“. Ein prägnantes Beispiel für diese Strategie ist folgende Aussage: „Unsere Aufgabe ist es, unser Land würdevoll in einen Hafen des Friedens und Wohlstands zu führen. Jeder, der sich dagegenstellt, ist ein Feind Georgiens, sowohl im Inland als auch im Ausland.“ Die Opposition wird dabei zum inneren Feind des Landes erklärt, während Georgien aus dem Ausland durch die sogenannte „globale Kriegspartei“ bedroht werde. Der Georgische Traum verbreitet einen Verschwörungsmythos, der die „globale Kriegspartei“ als geheimnisvolle internationale Organisation darstellt, zu der führende westliche Politiker*innen und Institutionen gehören. Ihr Ziel sei es, Georgien durch die Eröffnung einer zweiten Front in den Krieg hineinzuziehen. Für Georgiens aktuellen Premierminister Irakli Kobachidse gibt es im Kampf gegen diese „globale Kriegspartei“ keine Alternative: „Die einzige Alternative ist die Kapitulation, und die Konsequenz der Kapitulation ist die Ukrainisierung des Landes“. Nur eine Sache habe das Land vor der Kriegshölle der letzten Jahre gerettet, „[…] unser weises Volk und seine Regierung, die unabhängig und ausschließlich im nationalen Interesse Entscheidungen getroffen haben.“

Angst als Machtinstrument

Aus propagandistischen Gründen scheut der Georgische Traum nicht davor zurück, mit offensichtlich widersprüchlichen Aussagen zu jonglieren. So behauptete Kobachidse einerseits, dass der Beschluss des Europäischen Parlaments zum „Agentengesetz“ für ihn „keinen Pfifferling wert“ sei. Im Mai 2024 hatte das Parlament ein umstrittenes Gesetz nach russischem Vorbild verabschiedet, nach dem Medien und NGOs als „ausländische Agenten“ eingestuft und damit in ihrer Arbeit eingeschränkt werden können. Auch für den Generalsekretär des Georgischen Traums, Kacha Kaladse, ist die Resolution des Europäischen Parlaments nichts anderes als ein „beschämendes“ Dokument. Generell sieht die Regierungselite die Europäische Union nicht als eine souveräne Werteunion, sondern als eine Struktur, die von der „globalen Kriegspartei“ kontrolliert wird. Die einzige Garantie für Frieden sehen sie darin, sich vom „westlichen Druck nicht in die Knie zwingen“ zu lassen. Trotz dieser EU-feindlichen Rhetorik sprechen sie gleichzeitig von Georgiens „europäischer Zukunft“. So erklärte Kobachidse, das Volk müsse am 26. Oktober „zwischen einer dunklen Vergangenheit und einer hellen, europäischen Zukunft Georgiens wählen“. Während die Regierung also die realen europäischen Strukturen ablehnt und sich weigert, Georgiens Annäherungsprozess an die EU aktiv mitzugestalten, beschwören sie andererseits eine mythische „europäische Zukunft“ herauf.

Nicht Teil dieser europäischen Zukunft sind offenbar die Werte der Europäischen Union. So ist der Schutz der georgischen nationalen Identität und künftiger Generationen vor „LGBTQ-Propaganda“ ein weiteres Ziel der Regierungspartei. Für Kobachidse ist die anstehende Wahl deshalb ein „entscheidendes Referendum“, bei dem das georgische Volk nicht nur zwischen Krieg und Frieden, sondern auch zwischen „moralischem Verfall und traditionellen Werten“ wählen müsse. Schalwa Papuaschwili, ebenfalls Spitzenpolitiker des Georgischen Traums und Vorsitzender des Parlaments, warnte seine Wähler*innen: „Wir müssen den europäischen Weg so gehen, dass dabei weder unsere Unabhängigkeit noch unsere Eigenständigkeit geopfert werden. Wir dürfen nicht gezwungen sein, auf Zehenspitzen zu springen, unsere nationale Würde zu verleugnen oder uns selbst zu erniedrigen“. Als handfesten Beleg für diese Haltung verabschiedete das georgische Parlament am 17. September 2024 ein Gesetz zum „Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“, das LGBTQ-Rechte stark einschränkt und wie das „Agentengesetz“ Parallelen zu Russland aufweist – ein Schritt, der auch „traditionstreue“ Wähler*innen mobilisieren soll.

Georgiens Zukunft in der Schwebe

Durch die ständige Betonung von Themen wie Krieg und Unruhen, dem Schutz georgischer Werte und der nationalen Identität soll bei der Bevölkerung der Eindruck erweckt werden, dass ein Machtwechsel Chaos zur Folge hätte. Diese angstschürende Rhetorik kann dazu führen, dass die Wähler*innen trotz Unzufriedenheit mit der Politik der Regierungspartei diese als die sicherere und stabilere Wahl ansehen.

Die Rhetorik des Georgischen Traums ist also mehr als nur eine politische Kommunikationsstrategie, sie ist ein bewusst eingesetztes Mittel, um die öffentliche Wahrnehmung zu manipulieren. Die Gefahr besteht darin, dass solche vereinfachenden und polarisierenden Botschaften die gesellschaftliche Spaltung vertiefen und eine konstruktive politische Debatte unmöglich machen. In Georgien geht es also um mehr als nur die nächste Legislaturperiode – es geht um die Ausrichtung des Landes für die kommenden Jahre.


Diana Bogishvili ist Soziologin und schrieb ihre Dissertation am ZOiS über Wertewandel und Migration in Georgien.