Ukraine: Humor als Waffe im Krieg
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind Memes und Karikaturen fester Bestandteil des medialen Diskurses. Sie kommentieren nicht nur auf humorvoll-satirische Weise das Kriegsgeschehen, sondern vermitteln auch Werte und ideologische Grundsätze und werden damit zu einzigartigen Zeitdokumenten.
Der geniale polnische Aphoristiker und Dichter Stanisław Jerzy Lec hat einmal gesagt: „Wenn ein Mensch keinen Sinn für Humor hat, dann sollte dieser Mensch zumindest das Gefühl haben, dass er keinen Sinn für Humor hat.“
Der russische Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat bewiesen, dass die Ukrainer*innen Humor haben. Trotz des Leids, das der Krieg über sie brachte, haben sie seit den ersten Tagen der Invasion über die Eindringlinge gelacht und tun dies auch weiterhin. Dies kommt am deutlichsten in zahlreichen Karikaturen und Memes zum Ausdruck, die bereits wenige Tage nach dem Angriff Russlands in ukrainischen Zeitungen und Zeitschriften und im Internet erschienen sind und seitdem täglich erscheinen.
Indem wir über eine Karikatur oder ein Meme lachen, drücken wir unsere Einstellung zu den in ihnen dargestellten Personen oder Ereignissen aus. Eine der Humortheorien besagt, dass es uns ein Gefühl der Überlegenheit ermöglicht, die Personen, über die wir lachen, als dumm, unmoralisch oder inkompetent bloßzustellen. Je weniger wir uns mit ihnen identifizieren, desto stärker ist das Gefühl der Überlegenheit. Humor ist in Zeiten hybrider Kriege zu einer mächtigen Waffe geworden, die sowohl ukrainische als auch internationale Karikaturist*innen meisterhaft anwenden.
Moderne Kriege: zwei Dimensionen
Moderne Kriege unterscheiden sich von den klassischen dadurch, dass in ihnen nicht nur klassische Ausrüstung und reguläre Truppen zum Einsatz kommen. Werte, Ideologie, Kultur, Symbole, Medien und Humor werden im 21. Jahrhundert ebenfalls zu Waffen. Die russische Aggression gegen die Ukraine, die 2014 mit der Annexion der Krim und der Besatzung der Regionen Donezk und Luhansk begann, wird als „hybrider Krieg“ gewertet. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde das Land nicht nur zum Kriegsschauplatz in Europa, sondern auch zum Thema Nr. 1 in den Weltmedien.
Jeder Kriegskonflikt hat eine reale und eine medienkulturelle (diskursive) Dimension. Die beiden sind eng miteinander verbunden. In letzter Zeit interessieren sich die Konfliktforscher*innen nicht nur für harte politische Themen, sondern auch für „Soft/Smart Power“: Kultur, Identität und Werte, die im Kriegsverlauf eine wichtige Rolle spielen. Sie bilden einen gewissen „Bedeutungshintergrund“, der die politische Sphäre maßgeblich beeinflusst. Ein Beispiel ist das Konzept „Russki Mir“ („Russische Welt“). Der Begriff wurde vom russischen Präsidenten Wladimir Putin ab 2001 öffentlich verwendet und steht für eine Ideologie der kulturellen Totalität des Russischen, laut dem die russische Einflusssphäre alle Gebiete umfasst, in denen das Russische präsent ist. Das Konzept ist von zentraler Bedeutung für die gegenwärtige neoimperialistische Außenpolitik Russlands.
Die rasante Entwicklung der sozialen Medien hat in den letzten Jahren zur Entstehung neuer Formen von Medienkultur, politischem Humor und gesellschaftlichem Engagement geführt, die solche Themen der Soft Power zunehmend in den Vordergrund rücken. Die kulturelle Dimension des russisch-ukrainischen Krieges wird vor allem von ukrainischer Seite in zahlreichen Karikaturen und Memes umgesetzt. Meme #1 ist ein visuelles Narrativ. Es spricht die russischen Invasionen in Georgien, Syrien und in der Ukraine sowie ihre blutigen Folgen an und benutzt die visuelle Metapher Russland = Tod. Der untere Teil zeigt den erschrockenen Tod, dem die ukrainischen Soldat*innen im aktuellen Krieg bewaffneten Widerstand leisten.
Meme #2 besteht aus einem nonverbalen (die Silhouetten der Ukraine und Russlands) und einem verbalen (Überschrift „No Fear“) Element. Es benutzt die Witztechnik „Kontrast“, indem die Größe der beiden Silhouetten den tatsächlichen Flächen beider Länder widerspricht, und stellt damit die Umdeutung des Mythos über David und Goliath dar. Die Kombination von nonverbalen und verbalen Elementen steigert die satirische Wirkung des Memes.
Politischer Humor vs. politische Satire
Da Humor per definitionem auf Inkongruenz, einer Spannung zwischen Widersprüchen, basiert und der Kritik dient, kann man politischen Humor als kommunikatives Mittel definieren, welches Inkongruenzen, die im politischen Handeln und im politischen Diskurs entstehen, aufspürt, hervorhebt und angreift. Karikatur #1 zeigt den Sturm einer Festung (=EU). In deren Vordergrund sehen wir einen kleineren Turm mit Kosaken (=Ukraine), welche die Festung verteidigen. Die Botschaft: Im Kampf gegen die russische Aggression verteidigt die Ukraine nicht nur sich selbst, sondern auch ganz Europa. Zugleich kritisiert der Autor die Rolle der EU als die eines außenstehenden Beobachters im Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Politische Satire als Form des politischen Diskurses stellt die bestehende politische oder soziale Ordnung in Frage, in der Regel durch Gegenüberstellung der bestehenden unvollkommenen Realität mit Visionen dessen, was sein könnte oder wie es sein sollte. Diese Kritik wird durch drei Elemente politischer Satire bestimmt: Ziel, Fokus, und Präsentation. Zusammen regeln diese Elemente die Bandbreite politischer Satire, die sich gegen die politische Ordnung/Autorität richtet: von unterstützend bis subversiv. Das Ziel meint die Person, die Institution oder das Land, welche die Karikatur zeigt. Der Fokus ist der konkrete Aspekt der sozialpolitischen Realität, den die Karikatur hervorhebt und kritisiert. Die Präsentation beschreibt die verbalen und nonverbalen Mittel (Text, visuelle Metaphern, Tier- und Nationalsymbole), welche die Botschaft der Karikatur umsetzen.
Karikatur #2 zeigt den russischen Soldaten (Ziel), der sich lachend an ein Stück Wassermelone heranmacht. Die nonverbalen Elemente – Wassermelone als Symbol für Cherson als größtes Anbaugebiet in Osteuropa, Buchstabe „Z“ als Zeichen für die russische Armee und gebrochene Zähne des Soldaten sowie sein schmerzverzerrter Gesichtsausdruck (Präsentation) – korrelieren mit dem Fokus (Befreiung von Cherson) und übertragen die Botschaft „Russland ist Cherson nicht gewachsen“, beißt sich also die Zähne aus.
Politischer Humor im russisch-ukrainischen Krieg wirkt auf der internationalen und nationalen Ebene. Auf der internationalen Ebene ist politischer Humor meistens unterstützend, aber manchmal subversiv für die Ukraine. Auf der nationalen Ebene wird politischer Humor zum Appel an die Weltgemeinschaft, die Rechtmäßigkeit des ukrainischen Widerstandes zu verstehen und den gemeinsamen Kampf für eine zivilisierte und demokratische Zukunft in Europa und in der gesamten Welt fortzusetzen.
In Kriegszeiten hat politischer Humor eine besondere Bedeutung. Er manifestiert und verteidigt Werte, Kultur und Identität, attackiert den Feind und zieht eine Trennungslinie zwischen „wir“ und „sie“, zwischen Demokratie und Terrorismus. Humor im Krieg gibt den Menschen, die ihr Land verteidigen, Kraft und Zuversicht. Gleichzeitig sind politische Karikaturen und Memes ein einzigartiges Zeitdokument, das den Kampf der Ukrainer*innen gegen den Aggressor und die weltweite Unterstützung der Ukraine ohne Worte bezeugt und bezeugen wird.
Dr. Orest Semotiuk ist Postdoc Forscher am Lehrstuhl für neue Medien der Nationalen Iwan-Franko-Universität Lwiw und Medienexperte am Pylyp Orlyk Institute for Democracy (Kyiw). Seine Monographie „The Russian-Ukrainian War in Political Cartoons: Mediatisation of Modern Military Conflicts'“ ist 2021 erschienen.