ZOiS Spotlight 9/2024

Unter dem Vorwand der Tradition: Die Unterdrückung der Medien in Kirgistan

Seit seiner Machtübernahme 2021 errichtet Präsident Sadyr Dschaparow ein zunehmend autoritäres Regime in Kirgistan. Er geht hart gegen seine Kritiker*innen vor und schränkt die Presse- und Meinungsfreiheit ein. Dies rechtfertigt er vor allem mit dem vermeintlichen Schutz kirgisischer Werte und Moralvorstellungen.

Der kirgisische Präsident Sadyr Dschaparow vor Pressevertreter*innen. IMAGO / ITAR-TASS

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.

Unter dem Deckmantel eines neuen Gesetzes zum Schutz der Werte, moralischen Prinzipien und Traditionen der kirgisischen Gesellschaft und Ideologie versucht der kirgisische Staat zunehmend, Medien zu unterdrücken. Journalist*innen verfügen nun nur noch über begrenzte Möglichkeiten, die Regierung zu kritisieren. Andernfalls riskieren sie den Vorwurf, Falschinformationen zu verbreiten, die den „moralischen Werten des Volkes“ widersprechen könnten. Dem kirgisischen Präsidenten Sadyr Dschaparow wurden neue Befugnisse erteilt, in Entscheidungen des Verfassungsgerichts zu intervenieren, wenn es sich um Fälle handelt, die „moralische und ethische Werte“ betreffen. Dschaparow kann damit jede Entscheidung, die im Widerspruch zu diesen Werten steht, widerrufen, einschließlich solche, die die Arbeit von Medien und NGOs betrifft. Derartige Repressionen können nun schlicht mit der Rolle des Staates als Hüter der Moral gerechtfertigt werden.

Das Dschaparow-Taschijew-Tandem

Seit der Revolution in Kirgistan 2020 haben zwei Männer dort ein autoritäres Regime errichtet: Dschaparow und sein Partner Kamtschybek Taschijew, Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Nationale Sicherheit, dem lokalen Nachfolger des sowjetischen KGB. Beide gelangten 2020 an die Macht, indem sie sich die Revolution, die so große Hoffnungen in der Bevölkerung geweckt hatte, geschickt zunutze machten. Sie trafen schnelle Entscheidungen, verteilten gekonnt Ressourcen und gingen kurzlebige Allianzen mit kriminellen Netzwerken und korrupten Beamt*innen ein. Um ihre Macht abzusichern, nahmen sie dann weitreichende Veränderungen an der kirgisischen Verfassung vor und verwandelten das Land so von einer parlamentarischen Republik in eine präsidiale. Kürzlich unterzeichnete Dschaparow ein Gesetz, das sogenannten ausländischen Vertreter*innen in Kirgistan gewisse Beschränkungen auferlegt – ein Vorgehen, das an ähnliche Gesetze erinnert, die in Russland unter Präsident Wladimir Putin verabschiedet wurden.

Seit 2020 wird beharrlich gegen die Opposition vorgegangen, einschließlich der Verhaftung von Oppositionellen, Demonstrationsverboten und der Schließung unabhängiger Medien. Dank ihres selbstgeschaffenen Machtduopols konnten Dschaparow und Taschijew oppositionelle Stimmen so gut wie beseitigen, die Zivilgesellschaft schwächen und die Kontrolle der Regierung über die Massenmedien durchsetzen.

Druck auf die Massenmedien

Den staatlichen Behörden in Kirgistan gelingt es, kritische unabhängige Medien zu dämonisieren, indem sie Emotionen, Moralvorstellungen und Traditionen ansprechen. Verschiedene Regime haben die Massenmedien in Kirgistan bereits zum Vorteil der Machthaber benutzt oder sie bedroht. Zwischen diesen Regimen gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede, eine Konstante bilden jedoch die Attacken auf Radio Azzatyk, ein renommiertes internationales Medium mit einer siebzigjährigen Geschichte, das sowohl Fernsehen und Radio als auch Onlinekanäle anbietet. Azzatyk ist anerkannt für seinen kritischen Journalismus, Berichte über Korruption und tiefgehende Analysen in kirgisischer Sprache. Unter Dschaparows Führung wurden die Webseite von Azzatyk gesperrt und seine Bankkonten geschlossen. Vielen Journalist*innen bereitete dies erhebliche Probleme.

Generell werden Journalist*innen und die übrige Medienlandschaft in Kirgistan stark unter Druck gesetzt und bedroht. Gegenüber kritischen Stimmen zeigt sich die Regierung besonders feindselig und setzt Trollfabriken ein, um Aktivist*innen und unabhängige Medien anzugreifen. Jede Form von Journalismus, die das Handeln der Regierung oder ihr Versagen kritisiert, auf gesellschaftliche Forderungen einzugehen, wird mithilfe verschiedener Methoden diskreditiert. Eine kirgisischsprachige Journalistin gab beispielweise in einem Interview an, sie sei gezwungen worden, ihren Posten bei der Nachrichtenagentur X aufzugeben, weil sie offene Kritik an staatlichen Maßnahmen geäußert hatte.

Kloop Media und dessen Nachrichtenagentur Kloop, eines der führenden unabhängigen Medien in Kirgistan, waren gezwungen zu schließen und ihre Journalist*innen wurden verfolgt. Der Investigativjournalist Bolot Temirow, Betreiber von Temirow Live, wurde aufgrund seiner russischen Staatsbürgerschaft genötigt, das Land zu verlassen, während die elf Mitglieder seines Investigativteams verhaftet wurden. Diese Fälle lösten einen öffentlichen Aufschrei aus. Zahlreiche andere kirgisischsprachige Journalist*innen stehen derweil vor ähnlichen Herausforderungen. Ab 2021 erhielten lokale Journalist*innen die Anweisung, die staatlich finanzierten lokalen Fernsehsender in einem guten Licht erscheinen zu lassen.

Herausforderungen in den sozialen Medien

Dschaparow und seine Unterstützer*innen nutzen unterschiedliche Methoden, um soziale Medien zu sperren. Kritische Stimmen finden häufig über die sozialen Medien wie Facebook, TikTok und Instagram Verbreitung, wo sie gleichzeitig immer wieder von Trollfabriken dämonisiert werden. Diese Trolle arbeiten unermüdlich daran, spöttischen und abfälligen Content, wie zum Beispiel Karikaturen, zu produzieren.

Die Journalistin Kanyschaj Mamyrkulowa kritisiert auf Facebook aktiv die kirgisische Regierung und wurde bereits mehrfach von den staatlichen Behörden vorgeladen. Mamyrkulowa und die unabhängige Journalistin Asel Soornbajewa werden von Trollen belästigt, die ihre Aktivitäten ins Lächerliche ziehen. Beiden wird vorgeworfen, Informationen zu verbreiten, die der kirgisischen Kultur fremd sind. Eine andere Herausforderung für den kirgisischen Staat stellt TikTok dar, das besonders bei jungen Menschen beliebt ist. Die staatliche Verwaltung behauptet, die Inhalte auf TikTok würden traditionellen Werten, Bräuchen und gesellschaftlichen Moralvorstellungen widersprechen, und hat gefordert, die Plattform zu schließen.

Ungeachtet der Bemühungen der Regierung, den Informationsfluss zu kontrollieren, stellt es im digitalen Zeitalter eine nahezu unmögliche Herausforderung dar, sämtliche Gegenstimmen zum Schweigen zu bringen. Menschen müssen lernen, Informationen zu analysieren und zu filtern. Blogger*innen und Aktivist*innen kommt eine entscheidende Rolle dabei zu, TikTok in Kirgistan zu verteidigen. Ein junger Geschäftsmann bescheinigt TikTok in einem Interview, seinen Kundenkreis erweitert zu haben, und betont die Freiheit der Nutzer*innen, zu wählen, welche Inhalte sie konsumieren.

Die kirgisische Regierung scheint ihre Aufmerksamkeit vor allem darauf zu richten, die öffentliche Meinung in der Frage zu manipulieren, wie lokale Werte, moralische Prinzipien und Traditionen der kirgisischen Gesellschaft und Ideologie bewahrt werden können. Dadurch lenkt der Staat die Bürger*innen von dringenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen ab, die häufig umgehendes Handeln erfordern. Stattdessen richten die staatlichen Behörden ihr Augenmerk darauf, unabhängige Medien zu bestrafen und antiwestliche Stimmungen in Kirgistan anzuheizen. Sie tun dies auf kreative Weise, indem sie Werte und Emotionen mobilisieren und so ihre eigene Macht steigern. Der Staat rechtfertigt die Unterdrückung der Medien mit seiner moralischen Autorität über die Bevölkerung.


Aksana Ismailbekova ist Postdoktorandin am Leibniz-Zentrum Moderner Orient.

Zinaida Almazbekova ist eine unabhängige Journalistin.