Westliche Vermögenswerte in Russland: Navigation auf schwierigem Terrain
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wird nicht nur militärisch ausgetragen. Mittlerweile reagiert der Kreml verstärkt mit Gegenmaßnahmen auf die wirtschaftlichen Sanktionen des Westens. Im Visier stehen Vermögenswerte europäischer Firmen in Russland, deren drohende Enteignung die EU vor ein Dilemma stellt.
Aus dem Englischen übersetzt von Michael G. Esch.
Im Verlauf der andauernden russischen Invasion der Ukraine hat der Kreml 2023 seine Aufmerksamkeit vom Schlachtfeld auch auf die Wirtschaft gelenkt. Das zeigen die zahlreichen legislativen Aktivitäten in Zusammenhang mit westlichen Vermögenswerten deutlich. Die russische Führung hat eine Reihe von Gerichtsentscheidungen, in deren Folge russische Vermögenswerte in Europa eingefroren wurden, zum Anlass genommen, sich auf eine weitere Eskalation vorzubereiten: Sie hat den gesetzlichen Rahmen für eine Nationalisierung ausländischer Vermögenswerte in Russland geschaffen. Dass die russische Regierung dabei für jeden Investor eine spezifische Herangehensweise erwägt, versetzt milliardenschwere geschäftliche Unternehmungen, deren Aufbau Jahre intensiver Arbeit benötigt hat, in einen Zustand der Unsicherheit.
Mit einem Beschluss, der vielerorts als Akt der Vergeltung wahrgenommen wurde, hat der russische Präsident Wladimir Putin im April die Elektrizitätsanlagen der finnischen Firma Fortum (die mehrheitlich dem finnischen Staat gehört) und der Firma Unipro (einer Tochter der deutschen Uniper) ins Visier genommen. Diese Anlagen wurden der russischen Föderalen Agentur für die Verwaltung des Staatseigentums unterstellt – eine Entscheidung, die von Pressesprecher Dmitri Peskow als Antwort auf das aggressive Vorgehen unfreundlicher Nationen bezeichnet wurde, die ihrerseits einen regulativen Rahmen für die Enteignung russischer Vermögenswerte im Ausland anstrebten.
Der staatliche Gasgigant Gazprom hatte zuvor zu den ersten Sanktionszielen in der EU gehört, als die Gazprom Germania, der 14 Prozent der Gasleitungen und 28 Prozent der Gasvorräte in Deutschland gehören, an eine externe Verwaltung übertragen wurde. Im September 2022 stellte Deutschland den Mehrheitsanteil an einer zum staatlichen russisch Ölkonzern Rosneft gehörenden Ölraffinerie in Schwedt sowie Minderheitenanteile an zwei weiteren Raffinerien unter Treuhandverwaltung durch die deutsche Bundesnetzagentur.
Diese Maßnahmen, die wegen der beträchtlichen Rolle dieser Gesellschaften für die deutsche Wirtschaft sowie wegen der Präsenz eines von Sanktionen betroffenen Mehrheitseigners beschlossen wurden, zielten darauf ab, das ordnungsgemäße Funktionieren dieser Anlagen zu sichern. Da Transaktionen mit von Sanktionen betroffenen Werten illegal sind, bestand die reelle Gefahr eines Kapitalabzugs. Zwar legte Rosneft rechtlichen Widerspruch ein, doch im März 2023 entschied ein Leipziger Gericht zugunsten der deutschen Behörden.
Die Rückführung russischer Vermögenswerte
Die Entscheidung des Kreml, ausländische Vermögen de facto zu nationalisieren, wurde nicht aus einer Laune heraus getroffen. Die russischen Behörden und Topfirmen hatten zuvor das Schicksal russischer Werte in Europa sehr genau verfolgt. In Vorwegnahme zukünftiger Entwicklungen haben wichtige russische Firmen, insbesondere staatliche wie der Pipelinebetreiber Transneft und der Uranproduzent Uranium One (eine Tochter der Rosatom) bereits ihre Vermögenswerte aus dem Ausland in den russischen Hoheitsbereich überführt. Im März 2023 beauftragte Putin die russische Regierung damit, in Zusammenarbeit mit dem Parlament und führenden Wirtschaftsverbänden einen Plan auszuarbeiten, wie sich der Transfer ausländischer Wirtschaftsanlagen in den russischen Hoheitsbereich insbesondere in Schlüsselbereichen beschleunigen lasse.
Zwar zielt Putins Dekret auf Anlagegegenstände im Besitz fremder Staaten, aber auch private Vermögenswerte in Russland sind nicht völlig sicher. Kurz nach dem Leipziger Urteil entschied das Schiedsgericht der Region Nischni Nowgorod zugunsten des russischen Automobilunternehmens GAZ und genehmigte die Enteignung der Anlagen von Volkswagen in Russland. GAZ klagte auf den Ausgleich von Verlusten in Höhe von 15,6 Milliarden Rubel (196 Millionen Dollar) durch Volkswagen wegen der Nichteinhaltung eines Vertrags über die Montage von Autos in Nischni Nowgorod. Obgleich das Gericht inzwischen die Beschränkungen einiger Vermögenswerte von Volkswagen in Russland aufgehoben hat und diese an einen russischen Käufer veräußert wurden, bleibt ein erheblicher Teil ausländischer Anteilseigner an der Volkswagen Group Rus blockiert.
Nach den neuen Regeln, die die russische Regierung aufgestellt hat, sind die Eigentümer ausländischer Werte verpflichtet, diese mit einem Nachlass von 50 Prozent zu verkaufen und eine Abgabe von 10 Prozent auf den Wert der Anlagen zu leisten. Dass durchaus Käufer für attraktive Anlagen zu Schleuderpreisen vorhanden sind, verkompliziert die Situation insbesondere wegen der Beteiligung einflussreicher Personen im russischen Sicherheitsapparat (der siloviki) noch weiter.
In einem Bericht an Putin betont der russische Generalstaatsanwalt Igor Krasnow den Willen seiner Behörde, die staatliche Kontrolle über strategische Unternehmen wiederherzustellen. Weiter führt er aus, seine Behörde sei aktiv daran beteiligt, den angeblichen Schaden festzustellen, den Russland durch die Schließung von Unternehmern ausländischer Eigner erlitten habe. Die russische Föderale Agentur für die Verwaltung des Staatseigentums könnte nun in die Evaluierung privater Vermögenswerte einbezogen werden, indem sie den ökonomischen Schaden berechnet, der bei der Einstellung des Betriebs entsteht, und diese Unternehmen verkauft, sobald sie in die Bilanz der Agentur aufgenommen worden sind.
Der schwierige Balanceakt des Westens
Es verbleiben noch beträchtliche Vermögenswerte deutscher Gesellschaften und anderer Firmen aus „unfreundlichen‟ Ländern in Russland. Im Energiesektor halten westliche Gesellschaften Anteile an Joint Ventures mit russischen Gesellschaften, wie etwa die BP an Rosneft, Wintershell Dea und der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV an gemeinsamen Unternehmen mit Gazprom sowie japanische Beteiligungen an Öl- und Gasprojekten auf den russischen Sachalin-Inseln. Im industriellen Sektor besitzen Volkswagen, die Zeppelin Gruppe, Bayer und Einzelhandelsfirmen Vermögenswerte in Russland. Westliche Firmen sehen sich einer immer komplexeren Situation gegenüber: Auf der einen Seite müssen sie zwischen dem regulatorischen Rahmen und den siloviki lavieren. Auf der anderen Seite könnte es als Unterstützung der russischen Kriegsanstrengungen gewertet werden, wenn sie versuchen, ihre Anteile an russischen Unternehmen an russische Eigentümer verkaufen, die mit dem Staat oder sanktionierten Personen in Verbindung stehen.
In dieser Zwickmühle ist es für die EU unabdingbar, eine durchdachte und tragfähige Strategie zu entwickeln, um den Problemen hinsichtlich von Vermögenswerten europäischer Firmen in Russland zu begegnen. Eine solche Strategie sollte legislative, politische und ökonomische Aspekte mit dem Ziel berücksichtigen, die Interessen dieser Firmen zu verteidigen. Für die betroffenen westlichen Unternehmen könnte die Lösung in der Entwicklung rechtlicher Mechanismen für den Tausch von Vermögenswerten mit russischen Unternehmen liegen. Es wäre auch ratsam, einen Pool von Investoren zu schaffen, die an einem Abzug von Vermögenswerten aus Russland interessiert sind, sowie verschiedene Systeme für den Tausch ihrer Vermögenswerte gegen Liquidität, die in Russland auf Konten für Ausländer (sogenannte C-Konten) gebunden ist. Zu guter Letzt sollten Regierungen anderer Staaten die Möglichkeit prüfen, jenen Unternehmen regulatorische Erleichterungen zu gewähren, die ihre Bilanzen durch die Nettoabschreibung russischer Vermögenswerte verschlechtern.
Alexandra Prokopenko ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS. Sie ist Expertin für russische Wirtschafts- und Geldpolitik und für Entscheidungsprozesse im Kreml.