Wie Russland versucht, die Auswirkungen westlicher Technologiesanktionen zu entschärfen
Die Sanktionen des Westens zielen darauf ab, Russland den Zugang zu ausländischen Technologien zu erschweren und so die Kosten für den Krieg gegen die Ukraine in die Höhe zu treiben. Doch ihr Erfolg ist bisher begrenzt. Wie ist es Russland gelungen, drastische Auswirkungen der Technologiesanktionen zu verhindern?
Russland wird in der heutigen Welt selten als wichtiger Technologieakteur angesehen. Es sind hauptsächlich die USA und China, die technologische Rivalitäten austragen. Die Sanktionen gegen die russische Technologiewirtschaft zielen also nicht darauf ab, das Land in einem technologischen Wettlauf zu schlagen, sondern seine Kriegsführung gegen die Ukraine zu erschweren. Zu den Sanktionen zählen etwa Exportkontrollen für Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, Teile von Waffen und Drohnen, Computer, elektronische und optische Komponenten. Russland ist in hohem Maße von Technologie aus dem Ausland abhängig. Dennoch hat die russische Wirtschaft in den zwei Jahren seit der Verhängung der Sanktionen eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit bewiesen. Trotz widriger Umstände übt Russland eine gewisse Kontrolle über seine technologische Entwicklung aus. Mit welchen Strategien schafft Russland es, technologisch zu überleben?
„Technologische Souveränität“ mit ein wenig Hilfe von Russlands Freunden
Russland strebt nach „technologischer Souveränität“. Dieses Ziel verkündete der Minister für Industrie und Handel Denis Manturow am 15. Juli 2022 und kündigte gleichzeitig eine interventionistische Industriepolitik an, um es zu erreichen. Der Staat will künftig also mehr in die Industriewirtschaft eingreifen. Diese interventionistische Wende ist jedoch schon seit einiger Zeit im Gange, zumindest seit Anfang der 2010er Jahre. Der Krieg gegen die Ukraine und die daraus resultierenden Sanktionen haben nur dazu geführt, dass sie noch entschlossener umgesetzt wird. Souveränität bedeutet, dass ein Land in einem bestimmten Bereich über genügend Macht verfügt, um autonome Entscheidungen treffen und handeln zu können. Sie ist jedoch nicht mit Autarkie zu verwechseln. Selbst mit einer begrenzten Gruppe „befreundeter Länder“ ist Russland bestrebt, neue technologische Allianzen aufzubauen und bestehende zu stärken.
Dieser Beziehungsaspekt der russischen Technologiepolitik ist in der Tat sehr wichtig. Denn Russland kann von der technologischen Rivalität zwischen den USA und China nur auf eine Weise profitieren – indem es sich mit China verbündet. Allerdings muss die chinesische Führung ihre Interessen gegenüber Russland mit dem Risiko sekundärer Sanktionen abwägen, denen insbesondere chinesische High-Tech-Unternehmen ausgesetzt sein dürften, wenn sie mit Russland kooperieren. Daher sind Kooperationsprojekte nach wie vor rar, insbesondere in der digitalen Wirtschaft. In anderen Bereichen, wie der industriellen Automatisierungstechnik oder der Raumfahrttechnik, entstehen solche Projekte allmählich. Und China ist eines der Länder, über das „Parallelimporte“, also Importe sanktionierter Waren, stattfinden.
Auch mit weiteren Ländern entwickelt Russland technologische Kooperationen: mit anderen autoritären Regimen wie dem Iran, Ägypten oder Kuba, den Ländern der Eurasischen Wirtschaftsunion – Belarus, Tadschikistan, aber auch Turkmenistan und Usbekistan –, den BRICS-Staaten, insbesondere Indien, Vietnam, Malaysia, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Singapur sowie einigen afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern. Russland hat „digitale Attachés“ eingeführt, die in den russischen Botschaften in den meisten dieser Länder sowie in den OECD-Ländern Deutschland und Südkorea arbeiten. Daneben gibt es ein nationales Projekt für internationale Zusammenarbeit und Export und eine Reihe von Institutionen zur Exportförderung in Russland.
Der Wechsel zu einheimischen IT-Lösungen
Die Exportorientierung ist eine bemerkenswerte Entwicklung in der russischen Industriepolitik, die versucht, aus der Frustration über den „Westen“ in den Ländern des globalen Südens Kapital zu schlagen. Die Importsubstitution – also der Ersatz von Importen durch einheimische Produkte – bleibt jedoch ein wichtiger Schwerpunkt, insbesondere im Fall von Software als wichtigem Element der Cybersicherheit. Vor Russlands umfassendem Angriff auf die Ukraine stammten trotz der Importsubstitutionen noch 90 Prozent der vom russischen Staat verwendeten Software aus dem Ausland. Nach Februar 2022 wurde es für die russische Regierung dann jedoch zur Priorität, ausländische IT-Lösungen durch einheimische zu ersetzen. In diesem Zusammenhang wurden sogenannte industrielle Kompetenzzentren gegründet. Das Ministerium für digitale Entwicklung hat 54 solcher Zentren eingerichtet und ihnen 37,1 Milliarden Rubel zugewiesen, etwa 368 Millionen Euro. Einige von ihnen entwickeln Software für die Öl-, Gas- und Metallgewinnungsbranche, wo die Digitalisierung Effizienzsteigerungen verspricht. Der Erfolg dieser Zentren hält sich jedoch bislang in Grenzen: In einer kürzlich von Russoft, dem Verband russischer Softwarehersteller, durchgeführten Umfrage unter russischen IT-Ingenieuren sahen nur 7,2 Prozent echte Vorteile in diesen Programmen.
Ein Software-Ersatzzentrum ist das Industrielle Kompetenzzentrum für allgemeinen Maschinenbau des militärisch-industriellen Komplexes (MIC), das Unternehmen wie den Panzerhersteller Uralwagonzawod und das staatliche Forschungszentrum Krylov, das an der Produktion von Militärschiffen beteiligt ist, zusammenbringt. Das MIC benötigt Zugang zu sanktionierten Technologien, zum Beispiel integrierte Schaltkreise (Chips). Die westlichen Sanktionen scheinen hier nicht die gewünschte Wirkung zu zeigen: Berichten zufolge basiert ein Großteil der russischen Militärproduktion weiterhin auf westlicher Technologie.
Generell sind integrierte Schaltkreise (Chips) eine Schwachstelle der russischen Wirtschaft. Aus diesem Grund verlassen sich russische Chiphersteller wie Yadro und Baikal Electronics auf Open-Source-Technologien – insbesondere die Open-Source-Chiparchitektur RISC-V. Open-Source-Technologien sollten ursprünglich die Technologie aus der Umklammerung der Monopole befreien und den Zugang zu ihr demokratisieren. Nun wird also im Westen gefordert, dass autoritäre Regime keinen Zugang zu ihnen haben sollten. Doch selbst wenn Maßnahmen in diesem Sinne ergriffen würden, würden Briefkastenfirmen, die höchstwahrscheinlich in Hongkong ansässig sind, Russland weiterhin den Zugang zu diesen Technologien ermöglichen.
Deregulierung im Dienste der Innovation
Eine weitere Strategie Russlands zur Entwicklung seiner Technologien ist die Deregulierung. Jedes autoritäre Regime ist anders: Während einige Regime vor allem auf Kontrolle und restriktive Regulierung setzen, lassen andere rechtliche Schlupflöcher offen oder schaffen sie sogar, was zu Rechtsunsicherheit führt und undurchsichtige Geschäfte und Korruption fördert. Russland dereguliert die Entwicklung und Nutzung bestimmter Technologien, wie KI oder Blockchain, um Anreize für inländische Unternehmen zu schaffen, an Innovationen zu arbeiten. Auch durch die laxe Regulierung personenbezogener Daten sollen datenbasierte Unternehmen gefördert werden. Interessanterweise ist in diesem Fall Deregulierung und nicht Regulierung das Instrument des Protektionismus.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die russische Technologiepolitik ein dynamischer Bereich ist, der überwacht werden muss. Trotz umfassender Sanktionen und einem erheblichen technologischen Vorsprung der westlichen Länder ist es Russland gelungen, seine technologische Situation zu verbessern, nicht zuletzt, indem es sich die wirtschaftliche Dynamik von Nicht-OECD-Ländern zunutze gemacht hat. Die nach wie vor vorhandene Handlungsfähigkeit im technologischen Bereich zeigt sich auch in umfassenden Programmen zur Technologieentwicklung. Obwohl Russland seit Anfang der 2010er Jahre eine Technologie- und Industriepolitik verfolgt, hat die Regierung ihre Maßnahmen seit der Verhängung der Sanktionen im Jahr 2022 intensiviert, wobei der Schwerpunkt auf der Substitution westlicher IT-Technologien liegt.
Russland wird wohl nicht in der Lage sein, seine technologische Position innerhalb weniger Jahre radikal zu verbessern. Nischen der relativen Wettbewerbsfähigkeit für bestimmte technologische Produkte könnten das Land jedoch wirtschaftlich widerstandsfähiger machen, als dies derzeit der Fall ist. Dennoch wird es nur durch Parallelimporte, also durch die Beschaffung westlicher Technologie über Drittländer, oder in einigen Fällen durch die Zusammenarbeit mit China Zugang zu technologischen Spitzenlösungen erhalten.
Dr. Ewa Dąbrowska ist Postdoc-Wissenschaftlerin im Exzellenzcluster SCRIPTS („Contestations of the Liberal Script“) in Berlin. Ihr aktuelles Forschungsprojekt beschäftigt sich mit den Bemühungen der Schwellenländer um digitale und technologische Souveränität im Kontext der geopolitischen Veränderungen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine.