Internationaler Frauentag
Am 8. März ist Internationaler Frauentag – auch in der Ukraine. Aus diesem Anlass haben wir mit Leandra Bias über Anti-Gender-Rhetorik, feministische Außenpolitik und Alice Schwarzer gesprochen. Die am ZOiS affiliierte Forscherin arbeitet an der Schnittstelle zwischen Politikwissenschaft und Geschlechterforschung.
Welche Rolle spielt die Anti-Gender-Rhetorik in Russlands Krieg gegen die Ukraine?
Sie spielt eine zentrale Rolle, weil der Kreml sich dieser Rhetorik bedient, um sich selbst als Opfer und damit den Angriff als Präventivschlag darzustellen. Das äußert sich allem voran durch den Begriff der „traditionellen Werte“ und des „Schutzes der Familie“. Sie sind spätestens seit 2012 fester Bestandteil von Putins Rhetorik und wurden beispielsweise bereits beim Maidan ins Feld geführt, um von einer drohenden „Homodiktatur“ in der Ukraine zu sprechen. Somit geht es nicht mehr um demokratische Selbstbestimmung, sondern um eine vermeintlich gefährliche Ideologie, die bald auch über die Grenze nach Russland schwappen könne.
2013 verkündete der russische Sicherheitsrat, dass Russland angesichts der „westlichen homosexuellen Propaganda auch eine moralische Verteidigungsstrategie“ benötige. Feminismus, Gleichstellung, LGBT+-Rechte, das alles ist vermeintlich Teil einer besonders perfiden „Gender-Ideologie“, die der Westen als Strategie einsetzt, um Russland von innen heraus zu zerstören. Gender wird somit mit einer militärischen Waffe gleichgesetzt, die, sofern sie sich denn durchsetzen würde, die gesamte Nation zum Implodieren bringen würde. Damit werden mindestens zwei Ziele verfolgt. Zum einen kann Russland mit seiner Darstellung des Westens als neo-imperialen Hegemon im Globalen Süden punkten. Zum anderen stilisiert sich Russland zum bedrohten Opfer, das sich mit allen Mitteln wehren muss und die Ukraine zum Spielball des „perversen Westens“. In der russischen Propaganda muss die Ukraine von „Gayropa“ befreit werden. Es geht nicht mehr um einen Kampf zwischen Autoritarismus und Demokratie, sondern um einen notwendigen Präventivschlag gegen Pride-Paraden und um das Eindämmen einer „Gender-Ideologie“, die ebenso bedrohlich wie die NATO-Erweiterung sei.
In den letzten Jahren hat das Konzept der feministischen Außenpolitik sowohl an Popularität gewonnen als auch Kritiker*innen auf den Plan gerufen. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff und inwiefern lässt er sich aktuell auf die internationalen politischen Akteur*innen in Bezug auf den russischen Krieg gegen die Ukraine anwenden?
Feministische Außenpolitik hat mehrere Pfeiler: Sie orientiert sich stark am Prinzip der menschlichen, statt ausschließlich der staatlichen und somit militärischen Sicherheit. Sie fragt danach, wer bisher Sicherheitsbedürfnisse definiert hat und wer dabei womöglich überhört wurde. Sie nimmt daher auch das Prinzip des Gewaltkontinuums ernst, welches aufzeigt, dass Bedrohungen nicht nur außerhalb der Landesgrenzen zu verorten, sondern fluide sind und auch innerhalb der eigenen vier Wände vorkommen. Dazu gehört auch, dass feministische Außenpolitik Mehrfachdiskriminierungen und insbesondere strukturelle Gewalt nicht nur in Form von Sexismus, sondern auch Rassismus und Imperialismus als Teil der Sicherheitsbegriffs aufnimmt und diese Gewaltformen zu überwinden versucht. Insofern bricht feministische Außenpolitik mit der strikten Zweiteilung der Außen- und Innenpolitik und schaut im Idealfall auch selbstkritisch nach innen. Dabei gilt es zu betonen, dass feministische Außenpolitik das Resultat jahrelanger Lobbyarbeit der Zivilgesellschaft ist und es daher noch offen ist, wie diese Prinzipien von Staaten tatsächlich umgesetzt werden. Die kürzlich verkündeten Leitlinien der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock sind aber zweifelsohne bereits jetzt historisch, weil sie ein Umdenken signalisieren. Sie orientieren sich am schwedischen Vorbild der 3 R: Rechte, Ressourcen und Repräsentanz.
In Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine könnte sich das unmittelbar auf viele Arten zeigen. Bei den Rechten könnte sich das Auswärtige Amt spezifisch darum bemühen, dass Verletzungen von Frauenrechten verfolgt, geahndet und aufgearbeitet werden, insbesondere bei sexualisierter Gewalt im Krieg aber auch bei den zunehmend bedrohten reproduktiven Rechte von Russ*innen. Bei den Ressourcen könnte darauf geachtet werden, dass beim Wiederaufbau der Ukraine auch die soziale Infrastruktur und damit die Care-Ökonomie mitgedacht wird. Nicht zuletzt könnte bei der Repräsentanz neu ins Gewicht fallen, dass die Betroffenen selbst zu Wort kommen und als Expert*innen bei der Entscheidungsfindung ernstgenommen werden.
Mit Alice Schwarzer hat sich eine prominente deutsche Feministin stark in den aktuellen Diskurs um das richtige Agieren in Bezug auf Russlands Krieg gegen die Ukraine eingebracht. Sie spricht sich deutlich gegen Waffenlieferungen aus. Wie passt das mit einer feministischen Grundhaltung zusammen?
Um ehrlich zu sein, widerstrebt es mir, dieser Haltung durch Gegenargumente noch mehr Sichtbarkeit zu geben, als sie verdient hat. Bei den Waffenlieferungen beruft sich Alice Schwarzer spezifisch auf eine pazifistische Tradition, die eng mit dem Feminismus verknüpft ist. In der Theorie hat sie hier auch nicht unrecht: Feminist*innen setzen sich seit mehr als einem Jahrhundert gegen Militarismus ein. Die feministische Grundhaltung hier ist, dass das Patriarchat auf Unterdrückung beruht und dass diese Unterdrückung selbstverständlich mit Gewaltausübung (auch mit Waffen) durchgesetzt werden muss. Zudem geht diese feministische Tradition auch davon aus, dass Nationalstaaten historisch Frauen nicht geschützt haben. Abrüstung, Waffenkontrolle und eben menschliche statt staatlicher Sicherheit stehen im Zentrum, ebenso wie Prävention und Diplomatie. Aber und das ist der Schlüsselpunkt, Feminismus hat ebenso die Grundhaltung, dass Betroffene ihre Bedürfnisse am besten kennen und ihnen Gehör gegeben werden muss. Und nicht zuletzt steht der Feminismus auch für das Einhalten des Internationalen Rechts. Nicht umsonst haben Feminist*innen jahrzehntelang dafür gekämpft, dass sexualisierte Gewalt international verboten wird. Insofern ist Alice Schwarzers „Friedensaufruf“ nicht nur entgegen jeglicher Osteuropaexpertise, sondern auch ein Bruch mit dem Feminismus. Wenn ein Angriffskrieg mit der Absicht der Vernichtung stattfindet, ist klar, dass Feminist*innen auf der Seite der Opfer und der Angegriffenen stehen. Und wenn ukrainische (und im Übrigen auch russische) Feminist*innen um Waffen für ihre Verteidigung bitten, dann sollte das ernstgenommen werden. Das ist der feministische Grundsatz, der hier gelten sollte: an die Eigenermächtigung von Frauen zu glauben und nach ihr zu handeln. Alice Schwarzer hingegen handelt ganz im Sinne des Patriarchats und bevormundet sie im Glauben, es besser zu wissen.