Publizieren in Kasachstan: Neue Wege für Literat*innen
Gemeinsam mit der Sowjetunion verschwand nach 1991 auch der staatlich regulierte Literaturbetrieb, der über Jahrzehnte regimekonforme Schriftsteller*innen versorgt und unbequeme Autor*innen verfolgt hatte. Für postsowjetische Literat*innen bedeutete das ein Mehr an Freiheit, das allerdings mit dem Verlust staatlicher Zuwendungen und dem Zusammenbruch bewährter Produktions- und Distributionsstrukturen einherging. Die einstigen Staatsverlage waren ohne Zuschüsse nicht überlebensfähig, sie wurden privatisiert oder geschlossen. Während sich in Russland mit der Zeit eine nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionierende Verlagslandschaft entwickelte, kann davon in Kasachstan auch fast 30 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion keine Rede sein. Der Großteil der dort verkauften Bücher wird deshalb aus Russland eingeführt. Bei der in Kasachstan produzierten Literatur handelt es sich zu 90 Prozent um Schul- oder Lehrbücher.
In den Interviews, die ich während meiner Forschungsaufenthalte im Mai 2017 und im Oktober 2019 in Almaty und Astana (heute Nur-Sultan) führte, beklagen Autor*innen die fehlenden Verlagsstrukturen. Viele der existierenden Verlage fungieren als bloße Druckereien, die Texte gegen Gebühr und ohne jegliches Lektorat veröffentlichen. Die Schriftsteller*innen erhalten kein Honorar, sondern finanzieren den Druck ihrer Texte aus eigener Tasche oder über Sponsor*innen. Um die Lagerung, Distribution und Vermarktung ihrer Bücher kümmern sie sich im Regelfall selbst. Die Verlage verdienen am Druck, ob ein Buch verkauft wird, ist für sie von sekundärem Interesse.
Vor allem die russophonen Literat*innen Kasachstans, also diejenigen, die in russischer Sprache schreiben, nutzen deshalb die Ressourcen, die ihnen der literarische Markt Russlands bietet. Neben klassischen Verlagen sind das literarische Journale, die trotz sinkender Auflagenzahlen eine wichtige Rolle für das russophone literarische Leben spielen, sowie Online-Plattformen, auf denen Autor*innen ihre Texte publizieren (und teilweise auch verkaufen) können. Damit erreichen sie nicht nur Leser*innen in Russland, sondern Angehörige der „globalen russischen Kulturen“[1] weltweit. Auch Literaturinteressierte in Kasachstan nutzen diese Wege, um Texte einheimischer Autor*innen zu lesen.
Crowdfunding und Sprachenvielfalt
Zuletzt ließen sich indes Veränderungen in den Publikationsstrategien kasachstanischer Autor*innen beobachten. Einerseits gibt es Bemühungen, Bücher vermehrt in Kasachstan drucken zu lassen und dort zu verkaufen. Andererseits versuchen erste kasachstanische Literat*innen, sich ein Auditorium jenseits der russophonen Welt zu erschließen.
Eine populärer werdende Methode zur Finanzierung des Buchdrucks ist das Crowdfunding. Yuriy Serebryansky war nach eigener Aussage der erste Autor in Kasachstan, der über eine kasachstanische Crowdfunding-Plattform (Baribirge.kz) erfolgreich Geld für den Druck eines Buchs sammelte. Seine Verlegerin Aigerim Raimbekova berichtet, dass auf diesem Wege über die Hälfte der Druckkosten zusammenkam. Die über soziale Medien beworbene Aktion diente gleichzeitig als PR-Maßnahme für Serebryanskys Kasachstanischen Märchen. Die Geldgeber*innen durften sich werbewirksam an der Abstimmung über das Cover beteiligen und erhielten nach der Veröffentlichung ein Exemplar der Kunstmärchensammlung. Zwar existiert die für dieses Projekt genutzte Plattform nicht mehr, andere Autor*innen folgen aber dem Beispiel Serebryanskys und versuchen den Druck ihrer Texte durch ähnliche Aktionen zu finanzieren.
Am Beispiel der Kasachstanischen Märchen lässt sich noch eine weitere Publikationsstrategie aufzeigen, die in Kasachstan Nachahmer*innen finden könnte: Das Buch beinhaltet neben den russischen Originaltexten deren kasachische Übersetzungen. Dadurch sind sie nahezu allen Leser*innen des multiethnischen Landes verständlich, in dem Kasachisch Staatssprache und Russisch die Sprache der interethnischen Kommunikation ist. Auch Serebryanskys 2019 erschienener Fantasy-Roman Schwarzer Stern (in Ko-Autorschaft mit dem 2012 verstorbenen Bachytzhan Momyshuly) erschien zeitgleich auf Russisch und Kasachisch, wenn auch nicht in einem Band. Im Interview sagt Serebryansky, diese Art der doppelten Veröffentlichung sei für ihn „eine echte Möglichkeit, meine Existenz als Schriftsteller in Kasachstan zu sichern“. Eine Publikation in den beiden wichtigsten Sprachen des Landes ist aber nicht nur eine kommerzielle Frage, sie könnte darüber hinaus dazu beitragen, den aktuell nicht stattfindenden Austausch zwischen der russophonen und der kasachischen Literatur Kasachstans anzuregen.
„Ein unikales Ereignis für die kasachstanische Kultur“
In zwei Sprachen erschienen 2019 auch die Gedichte der Lyrikerin Aigerim Tazhi. Der Gedichtband wurde unter dem Titel Paper-Thin Skin/Bumazhnaja kozha bei dem US-amerikanischen Verlag Zephyr Press veröffentlicht und enthält neben den russischen Originalen deren englische Übersetzungen von J. Kates. Dass es in zwei Sprachen und nicht nur in englischer Übersetzung erschien, war Tazhi wichtig: so konnte es nicht nur einem internationalen Publikum, sondern auch dem heimischen zugänglich gemacht werden. Tatsächlich ist Paper-Thin Skin inzwischen in Kasachstan erhältlich und wird mit dem Slogan „ein unikales Ereignis für die kasachstanische Kultur“ beworben. Dieses Ereignis hat allerdings seinen Preis: Das Buch kostet 10.000 Tenge (rund 23 Euro), womit es wesentlich teurer ist als die einheimischen oder aus Russland eingeführten Bücher.
Die genannten Initiativen gehen auf das Engagement einzelner Autor*innen und Verleger*innen zurück, die einer kasachstanischen Leserschaft Bücher kasachstanischer Schriftsteller*innen zugänglich machen und damit auch zur Entwicklung der heimischen Literatur- und Kulturlandschaft beitragen wollen. Es sind Leuchtturmprojekte, die Vorbildcharakter für andere Autor*innen haben (könnten). Der kasachstanische Staat investierte über das staatliche Programm Rýhani Jańǵyrý („Spirituelle Wiedergeburt – Modernisierung der Identität Kasachstans“) bislang vor allem in Projekte, die internationale Außenwirksamkeit entfalten sollen. So wurden im September 2019 zwei Bände mit „zeitgenössischer kasachischer Prosa“ bzw. „Poesie“ vorgestellt, die in die sechs UN-Sprachen übersetzt wurden.[2] Die Bücher sollen weltweit an Bibliotheken verschenkt werden und sind online frei zugänglich. In den letzten Monaten hat Rýhani Jańǵyrý allerdings damit begonnen, einzelne Autor*innen und kleinere Kulturereignisse zu sponsern. So erhielten in Almaty 90 (Nachwuchs-)Schriftsteller*innen und Übersetzer*innen Förderstipendien in Höhe von 500.000 Tenge (rund 1160 Euro) und es gab eine Reihe von Lesungen mit Autor*innen, die vor allem der jungen Literatur Kasachstans zuzurechnen sind. Ob sich dieses Engagement fortsetzt und wie es sich auf den kasachstanischen Buchmarkt auswirkt, ist aktuell noch völlig offen.
[1] Siehe dazu Kevin M. F. Platt: Global Russian Cultures, Madison 2019: The University of Wisconsin Press.
[2] Zeitgenössisch muss allerdings relativ verstanden werden: Von insgesamt 61 Beiträger*innen sind lediglich sechs unter 50, zudem sind nur 12 Literatinnen vertreten. Auch die ethnische Diversität Kasachstans spiegelt sich nicht in der Auswahl der Autor*innen wider.
Nina Frieß ist Slavistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS. Mit der jungen Literatur Kasachstans setzt sie sich ausführlich in ihrem Aufsatz „Young Russophone Literature in Kazakhstan and the ‘Russian World’“ auseinander.