ZOiS Spotlight 1/2021

Superwahlsonntag in Zentralasien: Kein gutes Omen für die Demokratie

Von Beate Eschment 13.01.2021
Stimmabgabe bei den Parlamentswahlen in Kasachstan am 10. Januar 2021. imago images / Xinhua

Am 10. Januar 2021 wurde in Kasachstan ein neues Parlament und in Kirgistan ein neuer Präsident gewählt. Auf den ersten Blick handelt es sich um verschiedene Ereignisse in zwei Staaten, die zwar Nachbarn sind, aber sich in ihren politischen Verhältnissen stark unterscheiden. Genauer betrachtet zeigen sich jedoch Ähnlichkeiten, die kaum Anlass zu Optimismus geben.

Alles nach Wunsch in Kasachstan

Kasachstan ist ein autoritär regierter Staat. Der langjährige Präsident Nursultan Nasarbajew ist im März 2019 zwar zurückgetreten, hält aber nach wie vor die Macht in den Händen. Sein handverlesener Nachfolger Kasym-Dschomart Tokajew ließ bislang keinerlei Bereitschaft zu innenpolitischen Lockerungen erkennen, obwohl vor allem junge Städter*innen insbesondere in Almaty immer häufiger mehr demokratische Teilhabe fordern.

Bei den Unterhauswahlen am 10. Januar bot sich den Abstimmungsberechtigten auf den ersten Blick eine echte Wahl: Für 98 Sitze des Unterhauses gab es 312 Kandidat*innen aus fünf verschiedenen Parteien. Allerdings wird das politische System von Nur-Otan dominiert, der Partei des Präsidenten, die seit ihrer Gründung 1999 alle Parlaments- wie Präsidentschaftswahlen haushoch gewann. Und die anderen beteiligten Parteien stellen keine politische Alternative dar, sondern sind regierungsnah. Die einzige staatlich registrierte (und damit zur Teilnahme an den Wahlen berechtigte), in Maßen regierungskritische Partei, die OSDP, hatte sich zum Wahlboykott entschlossen. Ohne echte Opposition hielt sich das Interesse der Bevölkerung am Wahlkampf sehr in Grenzen. Trotzdem waren die Machthaber offenbar nervös. Im Vorfeld der Wahlen wurden bekannte politische Aktivist*innen verhaftet und die einheimische unabhängige Wahlbeobachtung gesetzlich stark beschränkt.

Am Wahltag gab es dennoch Protestkundgebungen in mehreren Städten, vor allem Almaty. Etwa 100 Demonstrierende wurden vorübergehend festgenommen. Unabhängigen Wahlbeobachter*innen wurde der Zugang zu Wahllokalen verweigert. Auf den Wahlzetteln fehlte zudem die bisher in Zentralasien übliche Option „Gegen alle“. Unabhängige Expert*innen erklären das damit, dass sich hier der Protest der Wähler*innen in Ziffern hätte ausdrücken können. Zahlreiche Posts in den sozialen Medien zeigen, dass stattdessen Wahlzettel durch Durchstreichen oder Eintragen anderer Namen als Ausdruck von Protest ungültig gemacht wurden.

Das vorläufige offizielle Wahlergebnis dürfte den Wünschen der Regierung entsprechen: Nur-Otan führt mit 71,9 Prozent der Stimmen wie immer das Feld mit weitem Abstand an, gefolgt von Ak Zhol (10,95 Prozent) und der Narodnaya Partiya Kazakhstana (9,1 Prozent). Wegen der in Kasachstan geltenden Sieben-Prozent-Hürde werden die beiden anderen Parteien (Auyl und ADAL) nicht in das neue Parlament einziehen. Die Wahlbeteiligung soll landesweit bei 63,3 Prozent gelegen haben. In Almaty, der größten Stadt des Landes, ging allerdings nicht einmal ein Drittel der Wahlberechtigten an die Urne. Dies ist die Fortsetzung eines Trends bei vorangegangen Wahlen, aber auch klarer Ausdruck des – hilflosen – Protests.

Alle bisherigen Wahlen in Kasachstan sind vom Standpunkt der Macht ruhig und geordnet, nach Einschätzungen von Beobachter*innen der OSZE aber nicht frei und fair abgelaufen. Der Druck und die Einflussnahme der Regierung waren dieses Mal sogar noch größer als bei den Präsidentschaftswahlen 2019, dabei stand in Ermangelung einer politischen Alternative eine wirkliche Veränderung gar nicht zu befürchten. Offenbar gibt es aber eine wachsende Gruppe junger Städter*innen in Kasachstan, die sich damit nicht mehr zufriedengeben.

Keine Überraschung in Kirgistan

Kirgistan gilt seinen zentralasiatischen Nachbarn als Hort der Anarchie und Bedrohung. Grund dafür ist, dass zum Beispiel in den knapp 30 Jahren seiner Eigenstaatlichkeit bereits drei Mal der Präsident durch die Macht der Straße aus dem Amt getrieben wurde. Westliche Politiker*innen bezeichnen es dagegen wegen der im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten aktiven Zivilgesellschaft und offeneren Atmosphäre nach wie vor als liberal, sogar demokratisch.

Die Wahlen am 10. Januar fanden statt, weil Anfang Oktober 2020 offensichtlich gefälschte Ergebnisse der regulären Parlamentswahl heftige Proteste hervorgerufen hatten. Diese hatten nicht nur die Annullierung der Wahl, sondern letztlich den Rücktritt des 2017 gewählten Präsidenten Sooronbaj Dscheenbekow zur Folge. Als neuer starker Mann im Staat setzte sich Sadyr Dschaparow durch, ein wegen Geiselnahme rechtskräftig verurteilter Politiker, der während der Unruhen von Anhängern befreit worden war und zehn Tage später unter Ausnutzung des allgemeinen Chaos die Ämter des Premierministers und des Präsidenten auf sich vereinte. Er wusste die Situation auch weiter für sich zu nutzen, unter anderem indem er die bereits verfassungsgemäß angesetzten Parlamentswahlen auf den Sommer verschob und stattdessen zuerst Präsidentschaftswahlen terminierte und dann, weil die Verfassung seine Kandidatur sonst nicht zugelassen hätte, zurücktrat. Dies allerdings nicht, ohne engste Vertraute an seine Stelle zu setzten und noch eine Reise durch das Land zu machen, um seinen potentiellen Wähler*innen große Versprechungen zu machen. Wie erwartet wurde er schließlich auch mit über 80 Prozent der Stimmen gewählt, einem für kirgisische Verhältnisse außerordentlich hohen Ergebnis. Unter seinen 17 Konkurrenten war kein einziger überzeugender Gegenkandidat.

Damit wird voraussichtlich ein Populist mit guten Unterweltkontakten und robust agierenden Unterstützer*innen sechster Präsident der Kirgisischen Republik. Seinen Wähler*innen hat er eine goldene Zukunft versprochen. Dabei sollen ihm auch neue Vollmachten helfen: Bei dem gleichzeitig stattfindenden Referendum über das zukünftige politische System stimmten 83,3 Prozent für die (Wieder-)Einführung einer Präsidialverfassung, die in den nächsten beiden Monaten abschließend ausgearbeitet werden soll.

Die kleine Wahlbeobachtungsmission der OSZE hat einige Unregelmäßigkeiten bemängelt. Das entscheidende Manko von Dschaparows Wahlsieg und des Ergebnisses des Referendums ist allerdings die Wahlbeteiligung, die bei unter 40 Prozent lag. Dies lasst sich nicht nur mit einer Wahlrechtsänderung, die Abstimmung ausschließlich am Wohnort zuließ, erklären. Man muss vielmehr vermuten, dass eine zunehmende Zahl von Wähler*innen sich resigniert vom politischen Geschehen abgewendet hat.

Was bringt die Zukunft?

Der Wahltag brachte also keine Überraschungen und macht wenig Hoffnung auf einen Demokratisierungsprozess in beiden Ländern. In Kasachstan sind vom neuen Parlament keine Reformimpulse zu erwarten, in Kirgistan besteht die Gefahr einer Ein-Mann-Herrschaft. Bei aller Unterschiedlichkeit der politischen Verhältnisse kann man zudem in beiden Staaten eine bedenkliche Tendenz beobachten: Ein wachsender Teil der Bevölkerung versteht, dass es bei Wahlen nicht um sie und ihre Interessen geht, sondern dass die Eliten sie lediglich zur Legitimation ihrer Machtinteressen nutzen, und wendet sich deshalb von der Politik ab. In Kirgistan kann man beobachten, dass gewaltbereite Minderheiten dieses Vakuum nutzen. Außerdem zeichnet sich in beiden Staaten eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft zwischen Stadt und Land bzw. Jung und Alt ab, die der Elite in die Hände spielen würde. Damit werden Ereignisse wie in Belarus, wo eine Aktivierung großer Teile der Gesellschaft zu beobachten ist, für Zentralasien sogar noch unwahrscheinlicher als bisher.


Beate Eschment ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS.