Spotlight on Ukraine 9

Erneuerung inmitten der Unsicherheit: Der Wiederaufbau ukrainischer Städte

Von Tetiana Skrypchenko 03.07.2024

Durch Beschuss beschädigte Gebäude wiederaufzubauen, während Russland seine Angriffe fortsetzt, ist eine Herausforderung. Und dennoch ist der Wiederaufbau in der Ukraine in vollem Gange. Eine Umfrage aus dem Frühjahr 2024 zeigt, dass viele Betroffene ihre Wohnungen aus eigenen Mitteln wiederaufgebaut haben.

Wiederaufbau von durch russischen Beschuss beschädigten Häusern in Irpin, Region Kyjiw, im Februar 2023. © IMAGO / Volodymyr Tarasov/Ukrinform/ABACAPRESS

Aus dem Englischen übersetzt von Michael G. Esch.

Seit dem Beginn von Russlands vollumfänglicher Invasion in der Ukraine im Februar 2022 ist ein beträchtlicher Teil der Wohngebäude des Landes beschädigt oder zerstört worden. Neben direkten Auswirkungen in Form von beschädigtem Eigentum, haben diese Zerstörungen auch indirekte Folgen: Umsiedlung, Armut, und den wirtschaftlichen Niedergang von Städten.

Im Frühjahr 2024 wurde im Rahmen des Ukraine Research Network@ZOiS eine umfassende Studie zu zerstörtem Wohnraum in zwei stark betroffenen Städten durchgeführt: Irpin in der Region Kyjiw und Charkiw. Die Studie umfasste 20 Tiefeninterviews mit lokalen Bewohner*innen und Verwalter*innen der beschädigten Gebäude sowie eine quantitative Online-Umfrage unter 300 Einwohner*innen. Die Studie ergab, dass fast die Hälfte der Betroffenen ihre Wohnräume bereits wiederaufgebaut hatten, häufig auf eigene Kosten.

Finanzierungsquellen

Die meisten Einwohner*innen, die ihre Wohnungen bereits wiederhergestellt oder den Wiederaufbau begonnen hatten, verwendeten eigene Mittel für die Reparaturen: 60 Prozent in Charkiw und 70 Prozent in Irpin. Allerdings wurden für die Wiederaufbaukosten häufig weitere Quellen genutzt, darunter auch allgemeine staatliche Programme und Mittel der lokalen Behörden. Insgesamt waren die Betroffenen mit der Unterstützung seitens lokaler Behörden in Charkiw (59 Prozent) zufriedener als in Irpin (41 Prozent). In letzterem wurden häufig zusätzliche Mittel von der Union der Eigentümergemeinschaften bereitgestellt; außerdem haben manche Bewohner*innen selbst Geld gesammelt, üblicherweise über Facebook.

Ein Verwalter eines wiederaufgebauten Gebäudes in Charkiw lobte die lokalen Behörden: Sie „standen immer bereit [und] halfen, Trümmer zu beseitigen und die Arbeit zu organisieren.“ Ein*e Bewohner*in eines nicht wiederhergestellten Hauses in Irpin war hingegen weniger begeistert: „Zuerst haben die Behörden einen Wiederaufbau versprochen, und dann sagten sie, da komme stattdessen ein Kunstpark hin.“

Bauleiter*innen betonten, wie wichtig die direkte Kommunikation mit den lokalen Behörden sei. Diese seien im allgemeinen hilfreicher gewesen als die staatlichen Behörden. Diejenigen, deren Häuser stärkere Schäden erlitten hatten, waren häufiger auf die lokalen Behörden angewiesen. Im Allgemeinen korrelierte ein höherer Grad der Zerstörung mit einer geringeren Neigung zur Instandsetzung. Bei privaten Einfamilienhäusern erwies sich der Wiederaufbau als schwerer denn bei Wohnblocks. Häuser mit Nachbarschaftsvereinigungen, in denen die Bewohner*innen Miteigentümer*innen der Gebäude sind, wurden häufiger wiederaufgebaut als ältere Häuser, die von der kommunalen Wohnungsverwaltung betreut werden und bei denen die Bewohner*innen weniger in den Wiederaufbau einbezogen waren.

Als besonders wichtig erscheint es, dass der Wiederaufbau dann erfolgreicher war, wenn es Gespräche zwischen bzw. mit den Bewohner*innen gab oder Arbeiten gemeinschaftlich ausgeführt wurden. So erzählte ein*e Bewohner*in eines wiederhergestellten Gebäudes, dass die Nachbarn „sich am Wochenende trafen und die Trümmer wegräumten“. Auch der Manager eines wiederaufgebauten Gebäudes berichtete: „Freiwillige kamen und halfen, Fenster einzusetzen, Türen auszutauschen, und sie lieferten sogar Baumaterial an.“

Interviewte und Teilnehmer*innen der Online-Umfrage erwähnten auch die Hilfe, die internationale und wohltätige Organisationen wie die Caritas, das Internationale Rote Kreuz und die UN geleistet haben. In Irpin wurden Hilfsleistungen von Privatunternehmen erwähnt; in einzelnen Fällen kam es zu energiesparenden Umbauten.

Bemerkenswert ist, dass sich die Finanzierungsquellen im Zeitverlauf änderten. Während die Region Kyjiw lediglich zu Beginn des Krieges beschädigt wurde, dauert die Bombardierung Charkiws bis heute an. Etwa 15 Prozent der Befragten waren in den Jahren 2023 und 2024 mit Gebäudeschäden konfrontiert, und sie erhielten mehr Hilfsleistungen von internationalen und Wohltätigkeitsorganisationen als in der ersten Zeit des Krieges.

Das eRecovery-Programm der Regierung

Das eRecovery-Programm der ukrainischen Regierung war die von den Befragten am häufigsten erwähnte Form staatlicher Unterstützung. In Charkiw beantragte ein Drittel der Betroffenen eine solche Unterstützung, in Irpin etwa 50 Prozent. Allerdings krankt das Programm an einem komplizierten Antragsverfahren, langen Wartezeiten und unzureichenden Mitteln. 15 Prozent der Betroffenen, die eine Unterstützung aus diesem Programm beantragt haben, sind gescheitert.

Ungefähr ein Drittel der Befragten, die einen Antrag gestellt hatten, gaben an, dass sie bereits Unterstützung erhalten hatten. Jüngere Betroffene fanden sich im Online-Verfahren leichter zurecht, weshalb sie im Vergleich zu älteren Bewohner*innen überrepräsentiert sind.

Unabdingbar für eine erfolgreiche Antragstellung waren amtliche Evaluierungen der Hausschäden. Trotz einiger Schwierigkeiten empfanden die meisten Befragten das Verfahren als transparent. Eine befragte Person allerdings befürchtete Korruption beim Verfahren zur Feststellung des Zustands der beschädigten Häuser.

Eigenfinanzierter Wiederaufbau

Das Fehlen von Unterstützung seitens Behörden und Stiftungen zu Beginn des Krieges zwang viele Bewohner*innen zur Selbsthilfe. „Wir haben Geld von den Bewohner*innen gesammelt, weil es damals keine staatlichen Mittel gab“, berichtete ein*e Bewohner*in eines wiederaufgebauten Gebäudes.

Da eine kostenlose zeitweilige Unterbringung nicht flächendeckend angeboten wurde, war die Rückkehr in das eigene Zuhause alternativlos. Sofortmaßnahmen wie Schlafsäle, Schulen oder modulare Häuser wurden meist als ungeeignet für einen längeren Aufenthalt betrachtet. Diejenigen, deren Häuser noch nicht wiederhergestellt wurden, leben derzeit bei Verwandten oder, häufiger noch, in angemieteten Räumlichkeiten. Die Interviews haben ergeben, dass ein selbstfinanzierter Wiederaufbau den Betroffenen im Allgemeinen größere Hoffnung auf baldige Rückkehr zu einem normalen Leben gab. Der Umstand, dass die Betroffenen nicht wussten, wie lange sie auf Hilfe von dritter Seite würden warten müssen, drängte viele dazu, selbst tätig zu werden. Sie wollten in ihre Heimatstädte zurückkehren und so rasch wie möglich aus den provisorischen Unterkünften herauskommen.

Die Aufwendung privater Mittel war relativ unabhängig vom Einkommen: Sowohl geringverdienende als auch wohlhabendere Bewohner*innen gaben ihr eigenes Geld aus, wobei die Wohlhabenden bereits vorhandenes Vermögen verwendeten, während die Geringverdienenden häufig Kredite aufnahmen. Ein*e Bewohner*in eines teilweise wiederhergestellten Gebäudes sagte: „Es gab nicht genügend Geld für die Reparaturen, [daher] mussten wir an allem sparen.“

Selbst mit Unterstützung der Behörden und Stiftungen blieb die Wiederherstellung einzelner Wohnungen nach dem Wiederaufbau der Gebäude schwierig. Die Menschen brauchen zusätzliches Geld für die Möblierung, da diejenigen, deren Häuser schwer beschädigt worden sind, fast all ihr Hab und Gut verloren haben und die derzeitigen Hilfsprogramme solche Verluste nicht entschädigen.

Erwartungen an die Zukunft

Es fällt auf, dass mehr als 70 Prozent derjenigen, die ihr eigenes Geld ausgegeben haben, nicht davon ausgehen, dass sie ihre Kosten erstattet bekommen werden. Nur ein kleiner Teil der Befragten hofft auf Entschädigung vor allem von der Regierung, und noch weniger halten russische Reparationen für wahrscheinlich. Was das eRecovery-Programms betrifft, so haben die meisten Befragten ihren Antrag zu Beginn des Krieges gestellt, als das Programm noch neu war und nur eingeschränkten Umfang hatte.

Die meisten derjenigen, die ihr Zuhause noch nicht wiederaufgebaut haben, gehen davon aus, dass sie dies auf eigene Kosten werden tun müssen. Viele sind unsicher, ob ihre Häuser überhaupt wiederhergestellt werden. Diejenigen ohne festen Wiederaufbauplan sind pessimistisch – insbesondere in Charkiw, wo die Bombardierungen andauern. Dagegen sind diejenigen, die ihre Häuser bereits wiederaufbauen konnten, optimistisch und im Allgemeinen mit dem Ergebnis zufrieden. Sie sind stolz auf ihre Leistung und hoffen, dass ihre Erfahrungen dazu beitragen werden, Hilfsprogramme zu verbessern und auf diese Weise zu einem erfolgreicheren Wiederaufbau führen.


Tetiana Skrypchenko ist Fellow am vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Ukraine Research Network@ZOiS.