Neuordnung des Welthandels: Welche Rolle spielt Russland?
Rohstoffe sind Teil der von den USA vermittelten Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Auch global hat die Rohstoffversorgung längst sicherheitspolitische Bedeutung. Angesichts der Umbrüche im Welthandel muss sich die EU fragen, wie sie künftig mit Russland als Energiemacht umgeht.
Laut dem UN Global Resource Outlook 2024 wird der Abbau natürlicher Ressourcen bis 2060 um fast 60 Prozent zunehmen. In einer Weltwirtschaft, die sich derzeit massiv im Wandel befindet, werden Rohstoffe zwangsläufig noch wichtiger werden – trotz der aktuellen Preisrückgänge infolge des Zollkriegs von US-Präsident Donald Trump. Angesichts geopolitischer Konflikte, eines sich verändernden Weltwährungssystems und neuer internationaler Allianzen steht die Kontrolle von Rohstofflieferketten im Mittelpunkt vieler nationaler Sicherheits- und Wirtschaftsstrategien.
Für Europa ist es von entscheidender Bedeutung, die Position Russlands in der sich neu formierenden globalen Ordnung zu verstehen. Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Russland seine Rolle als einflussreicher Exporteur von Kohlenwasserstoffen und Agrarprodukten vorerst beibehalten. Die Europäische Kommission und Deutschland haben Russland indes zur größten Bedrohung für ihre Sicherheit erklärt und sind fest entschlossen, Europa „wieder aufzurüsten“. Damit haben sie den Spielraum für eine künftige Zusammenarbeit – aus verständlichen Gründen – eingeschränkt.
Die USA wiederum haben Kyjiw dazu gedrängt, ihnen im Austausch gegen finanzielle Unterstützung und Waffen Zugang zu bisher unerschlossenen Vorkommen von Seltenen Erden zu gewähren. Im Zuge der Verhandlungen über einen Waffenstillstand in der Ukraine hat sich Washington auch offen für den Wunsch Moskaus gezeigt, die Beschränkungen für seine Gas-, Düngemittel- und Getreideexporte zu lockern. Die EU agiert daher in einem unberechenbaren globalen Kontext höchst anfälliger Rohstofflieferketten, in dem die USA revisionistisch geworden sind und Russland weiterhin ein wichtiger Akteur bleibt.
Russlands Wirtschaft: Sanktionen und neue Abhängigkeiten
Russland betritt diese neue Welt mit einer Reihe besonderer Voraussetzungen, auf die das Bild eines autoritären Staatskapitalismus oder einer absteigenden, aber zerstörerischen Macht nur bedingt zutrifft. Es stimmt zwar, dass die politische Ökonomie des Landes autoritär, unausgewogen und stagnierend und seine Außenpolitik destruktiv ist. Doch durch seine nuklearen Fähigkeiten und natürlichen Ressourcen hat Russland nach wie vor großen globalen Einfluss. Und obwohl der Kreml nach 2022 den militärisch-industriellen Komplex des Landes auf Kosten der zivilen Produktion erheblich gestärkt hat, gibt es kaum Parallelen zur verarmten sowjetischen Kriegswirtschaft des 20. Jahrhunderts.
Gleichzeitig haben der Krieg gegen die Ukraine und die anhaltenden Sanktionen Russland von westlichen Märkten isoliert und die Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft neu justiert. Die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, die Kriegsmobilisierung und die Sanktionen dürften die Bemühungen Russlands erschweren, Importe zu ersetzen und fortschrittliche zivile Technologie im eigenen Land zu produzieren. Dies gilt insbesondere angesichts des begrenzten zivilen Nutzens eines überhitzten militärisch-industriellen Komplexes.
Es ist daher anzunehmen, dass Russlands Gewicht in der Weltwirtschaft insgesamt weiter abnehmen wird. Ein Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine verspricht in dieser Hinsicht nur geringfügige Erleichterung, da der Handel mit dem Westen auf absehbare Zeit nicht wieder das Vorkriegsniveau erreichen wird. Eine Rückkehr Russlands als Europas wichtigster Öl- und Gaslieferant wird es nicht geben. Stattdessen ist Russland von China abhängig geworden, was Moskaus Einfluss auf die globalen Rohstoffpreise einschränkt. 2023 machte China 20 Prozent der gesamten russischen Exporte aus, drei Viertel davon entfielen auf fossile Brennstoffe.
Vernetzte Anpassung an den globalen Wandel
Als Reaktion auf diese missliche Lage hat der Kreml versucht, seine Handelspartner zu diversifizieren und seinen natürlichen Ressourcenreichtum zu nutzen, um neue Währungsabkommen auf multilateralen Plattformen außerhalb des Westens voranzutreiben, insbesondere im Rahmen des BRICS-Format. So greift Moskau mittlerweile verstärkt auf den chinesischen Yuan und andere nichtwestliche Währungen zurück. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Kreml Handelsstrukturen jenseits des US-Dollars aufbauen und damit ähnliche Rohstoffrenten generieren kann, wie durch die Exporte in den Westen in den vergangenen Jahrzehnten.
Bei der Anpassung an den globalen Wandel baut Russland zudem auf Netzwerke aus Einzelpersonen, Unternehmen und institutionellen Vermittlern, die oft unbemerkt und unterhalb von geopolitischen Spannungen, Wirtschaftskriegen und offizieller zwischenstaatlicher Politik operieren. Zu diesen Vermittlern gehören etwa westliche und nicht-westliche Unternehmen und die Organisatoren der russischen Öl-Schattenflotte, diplomatisch agierende Netzwerke russischer Regionalpolitiker*innen und Wirtschaftsverbandsvertreter*innen in diversen multilateralen Foren sowie transnationale Elitennetzwerke im globalen Finanz- und Technologiesektor. Diese Netzwerke sind flexibel, informell und zuverlässig und erlauben Russland, trotz der aktuellen globalen Unberechenbarkeit Geschäfte zu machen und Verbindungen zu pflegen.
Kann Europa mit einer Rehabilitierung Russlands umgehen?
Das Drängen der USA auf einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine sowie die jüngst neue Mitglieder gewinnende BRICS-Gruppe haben den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der Weltbühne teilweise rehabilitiert – trotz seines ungebrochenen Militarismus und seines fortdauernden Krieges gegen die Ukraine. Sollte sich die weltweite Nachfrage nach fossiler Energie und Agrarprodukten von Trumps jüngsten Zöllen zumindest teilweise erholen, werden zwar geringere, aber immer noch ausreichende Ressourceneinnahmen Russland die Mittel an die Hand geben, sich an das globale Chaos und die Belastungen des Krieges anzupassen.
Vor diesem Hintergrund muss Europa langfristig denken: Brüssel sollte an einem umfassenden Sanktionsregime gegen Russland festhalten, um den finanziellen Druck und die gesellschaftlichen Kosten des Krieges für den Kreml hoch zu halten. Gleichzeitig sollten jene Teile der russischen Elite, die das Regime derzeit zwar passiv mittragen, insgeheim aber mit Putins anti-westlichem Militarismus hadern, offener zur Abkehr von der Kreml-Politik bewegt werden: Die EU muss wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren in Russland die politischen Bedingungen deutlich machen (so unerreichbar diese derzeit auch scheinen mögen), unter denen eine begrenzte Zusammenarbeit wieder akzeptabel wäre.
Da Moskau bei Investitionen in seinen Rohstoffsektor bereits an finanzielle und technologische Grenzen stößt, sollte die EU zudem den Energiewettbewerb mit Russland durch alternative Lieferanten wie die USA, Norwegen und die Staaten des Nahen Ostens fördern. Die Strategie, Russlands globales Gewicht als Energielieferant weiter zu schwächen, muss mit einer beschleunigten Dekarbonisierung innerhalb Europas einhergehen, um die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen nachhaltig zu senken.
Ein solches Vorgehen wird nicht nur die Abhängigkeit der EU von Öl- und Gasimporten verringern. Die globale Dekarbonisierung ist auch ein Jahrhundertziel, das die EU mit China und einigen der BRICS-Partner Russlands teilt – trotz anderweitiger politischer Differenzen. Würden China und Europa sich gemeinsam darum bemühen, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu verringern, würde das die weltweite Nachfrage nach Russlands wichtigsten Exportgütern nachhaltig verringern. Die Folge wären sinkende Weltmarktpreise, die dem Kreml wichtige Ressourcen für weitere Kriege entziehen würden. Ein solcher Ansatz erfordert jedoch vor allem Pragmatismus: Europa muss lernen, mit Widersprüchen und Kompromissen umzugehen – und offen sein für Partner, die auf Zusammenarbeit statt selbstzerstörerische Isolation setzen.
Sebastian Hoppe ist Experte für die politische Ökonomie staatlicher Strategien und wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZOiS.