ZOiS Spotlight 19/2024

Präsidentschaftswahlen und EU-Referendum: Was in Moldau auf dem Spiel steht

Von Nadja Douglas 16.10.2024

Am 20. Oktober hält Moldau zeitgleich Präsidentschaftswahlen und ein Referendum über den EU-Beitritt ab. Die Wiederwahl der amtierenden Präsidentin Maia Sandu sowie ein Ja im Referendum sind wahrscheinlich, einige Ungewissheiten bleiben jedoch.

Wahlurnen in einem Wahllokal in Chisinau während der landesweiten Kommunalwahlen © Imago / SNA

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.

Unter Maia Sandu hat sich der Präsidialapparat erneut zum politischen Machtzentrum in Moldau entwickelt. Sandu, die als erste Frau überhaupt dieses Amt ausübt, gewann die letzte Präsidentschaftswahl 2020, weil sie Integrität und Kompetenz versprach. Ein Jahr später gewann ihre Partei PAS (Partidul Acțiune și Solidaritate – Partei der Aktion und Solidarität) die Parlamentswahlen und hält seitdem über 63 der 101 Sitze im Parlament. Die Regierungspartei verfügt also über eine ausreichende Mehrheit, um eigenständig Gesetze zu verabschieden. Sie hat dem Land eine ambitionierte Reformagenda vorgelegt, die verspricht, zentrale Herausforderungen wie Korruption, institutionelle Reformen (insbesondere der Justiz) und den Pfad der europäischen Integration anzugehen.

Die Orientierung des Landes in Richtung EU hat einen beispiellosen Auftrieb erhalten, was den Wunsch der meisten Bürger*innen nach Stabilität, Wohlstand und Rechtsstaatlichkeit widerspiegelt. Die EU belohnte Moldau, indem sie dem Land 2022 den Kandidatenstatus verlieh. Im Dezember 2023 entschied die EU-Komission, Beitrittsgespräche zu beginnen.

Die Präsidentin und die herrschende PAS-Regierung setzen darauf, dass ein großer Teil der Bevölkerung das Referendum über den EU-Beitritt unterstützen wird. Allerdings gibt es einige Unwägbarkeiten. Die Wahlbeteiligung von 33 Prozent der Bevölkerung, die für ein gültiges Ergebnis erforderlich ist, ist dank des cleveren Schachzugs, das Referendum mit der Wahl zu verbinden, nahezu garantiert. Anschließend wird eine Zweidrittelmehrheit im Parlament benötigt, um das zur Änderung der Verfassung notwendige Gesetz verabschieden. Der äußere Druck ist zudem sehr hoch: Einerseits übt Russland Einfluss auf den Wahlkampf aus, eine historische Bürde, die für die moldauische Regierung nach wie vor ein ernstes Problem darstellt. Verschiedene prorussische Gruppen und Kräfte mobilisieren gegen die herrschende PAS-Partei und ihr europäisches Projekt. In der Tat herrscht in strukturschwachen Regionen, vor allem im Süden des Landes eine erhebliche Unzufriedenheit mit der amtierenden Regierung. Dort wird dieses Projekt als eine Sache des Establishments in der Hauptstadt Chișinău betrachtet. Andererseits setzen die hohen Erwartungen der EU das Land zusätzlich unter Druck.

Wahlgesetzgebung und Kandidat*innen

Sowohl die anstehende Präsidentschaftswahl als auch die geplanten Parlamentswahlen im Februar 2025 werden ein weiterer Stresstest für das politische System und das Wahlsystem des Landes. Im Dezember 2022 wurde ein neues Wahlgesetz erlassen, das den Behörden zusätzliche Instrumente an die Hand gibt, um Gefahren wie Korruption im Wahlkampf, Stimmenkauf oder illegaler Wahlfinanzierung entgegenzutreten.

Momentan treten zwölf Kandidat*innen gegen Präsidentin Sandu an, die zwar das gesamte politische Spektrum repräsentieren, aber dennoch vorwiegend fragwürdige Unterstützer hinter sich haben. Umfragedaten zufolge führt Sandu deutlich und verfügt im proeuropäischen Lager über keine ernstzunehmenden Konkurent*innen. Die Umfrage ergab außerdem, dass 63,2 Prozent der Bevölkerung für einen Beitritts Moldaus zur Europäischen Union sind. Was in der Umfrage jedoch nicht vorkommt, ist das Szenario, dass Sandu keine absolute Mehrheit erhält und in einer zweiten Stichwahlrunde gegen einen moskaufreundlichen Kandidaten/in antreten muss.

Das sogenannte linke bzw. prorussische Spektrum, das eine Mitgliedschaft in der EU ablehnt, wird durch eine Reihe von nicht im Parlament vertretenen Parteien dominiert, die auf die eine oder andere Weise mit dem vom Kreml unterstützten, im Exil lebenden Oligarchen Ilan Schor in Verbindung stehen. Die Schor-Partei wurde im Juni 2023 vom Moldauischen Verfassungsgericht verboten, nachdem Schor wegen Betrugs im Zusammenhang mit dem „Bankenskandal“ 2014–2015 in Abwesenheit zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Seitdem wurde eine Reihe von Klonparteien wiederbelebt oder neu gegründet. Im April 2024 schuf Schor in Moskau gemeinsam mit anderen Politiker*innen das Wahlbündnis „Polbeda“ (Sieg). Seine Registrierung als parlamentarische Gruppe scheiterte jedoch. Das linke, teilweise prorussische Lager, einschließlich der ehemals mächtigen Kommunistischen (PCRM) und Sozialistischen (PSRM) Parteien bemühte sich vergeblich, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. Es gibt gezielte Versuche, Verwirrung zu stiften und die Gesellschaft zu spalten, indem das proeuropäische Lager verwässert wird. Dazu werden Kandidat*innen aufgestellt, die im Grunde prorussisch sind, aber versuchen, sich als proeuropäisch darzustellen, um Wähler*innen in der Mitte zu erreichen. Einer dieser Kandidat*innen ist der frühere moldauische Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo, der von der Partei der Sozialist*innen (PSRM) um den früheren Präsidenten Igor Dodon aufgestellt wurde. Die meisten von Schor unterstützten Kandidat*innen wurden durch die Zentrale Wahlkommission von der Wahl ausgeschlossen. Nichtsdestotrotz gibt es immer noch Kandidat*innen mit Verbindungen zu Schor, die es geschafft haben, sich registrieren zu lassen. Zu ihnen gehören Vasile Tarlev (früherer Premierminister der Kommunistischen Partei und aktueller Vorsitzender der Partei „Zukunft Moldaus“) und Victoria Furtună (frühere Staatsanwältin im Bereich Korruptionsbekämpfung).

Moldau hat bisher neun Präsidentschaftswahlen abgehalten. Trotz wiederholter Unregelmäßigkeiten stufte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), welche in der Vergangenheit Wahlen beobachtete und auch dieses Mal eingeladen wurde, die Wahlen jedes Mal als weitestgehend demokratisch ein. Die moldauische NGO Promo-LEX, die sich der Wahlintegrität verschrieben hat, entsendet nationale Beobachter*innen. Sie hat im Vorfeld der Wahlen einen Bericht herausgegeben, in welchem nicht deklarierte Ausgaben in den Wahlkampagnen verschiedener Kandidat*innen aufgedeckt wurden.

Stimmabgabe im Ausland

Die Diaspora spielte für Maia Sandus letzten Wahlsieg eine wichtige Rolle: in der zweiten Wahlrunde im November 2020 stimmten 93 Prozent der Wähler*innen im Ausland für Sandu. Allerdings waren die Erwartungen in der Diaspora riesig und viele sind möglicherweise von dem stagnierenden Reformprozess enttäuscht worden.

Zwei praktische Aspekte prägen den Wahlkampf im Ausland: Erstens können Wähler*innen aus der Diaspora ihre Stimme zum ersten Mal per Briefwahl abgeben. Umgesetzt wurde dies bisher allerdings nur für moldauische Staatsbürger*innen in sechs Ländern, welche die Anforderungen erfüllten. Zweitens hat sich die Menge der Wahllokale einmal mehr zu einem kontroversen Thema entwickelt. Die bei weitem größte Anzahl hat die Zentrale Wahlkommission in Westeuropa eingerichtet (allein 60 in Italien). Währenddessen sind statt den ursprünglich 20 geplanten Wahllokalen in Russland – dem Land mit dem größten Anteil registrierter moldauischer Auslandswähler*innen – zunächst nur fünf und mittlerweile nur noch zwei vorgesehen. Die Wahlkommission begründete diese Entscheidung, aufgrund von Druck aus dem moldauischen Außenministerium, mit der verschlechterten Sicherheitslage in Russland. Der Disput zwischen der Wahlkommission und dem Ministerium wird offen ausgetragen und befeuerte Proteste in Moskau, die monierten, dass auch die Zahl der Wahlzettel für die große Zahl an moldauischen Staatsbürger*innen in Russland nicht ausreichen würden.

Wähler*innen aus Pridnestrowje können ihre Stimmen in 30 Wahllokalen auf der rechten Seite des Dnister abgeben, die Kandidat*innen können in der abtrünnigen Region jedoch keinen Wahlkampf betreiben.

Russischer Einfluss

Die Strategie des Kremls, durch hybride Maßnahmen die Situation in Moldau zu destabilisieren, wurde schon bei den Kommunalwahlen 2023 deutlich, bei denen die PAS relativ schlecht abschnitt und Russland Berichten zufolge 55 Millionen US-Dollar für Destabilisierungskampagnen ausgab. Abgesehen von der Verbreitung von Desinformation fußen diese Kampagnen auf manipulativen Finanzströmen, wirtschaftlichem Zwang, Cyberattacken und Versuchen, die öffentliche Meinung über zielgerichtete Nachrichtenkanäle zu beeinflussen. Nur einen Monat vor der Präsidentschaftswahl startete der flüchtige Oligarch Ilan Schor einen neuen 24/7-Online-Nachrichtensender namens M24 mit Sitz in Russland, der hauptsächlich dem Zweck dient, Schors Kandidat*innen zu unterstützen. Moskaus langfristiges Ziel ist es, wieder an Einfluss im Land zu gewinnen und andere externe Akteure zu verdrängen. Demokratische Kräfte in Moldau haben zurecht Angst, dass Stimmenkauf unter armen und vulnerablen Wählerschichten und das Anheizen separatistischer Stimmungen und Spannungen in der südlichen Region Gagausien und natürlich Pridnestrowje nicht nur Auswirkungen auf die Ergebnisse der bevorstehenden Wahl und des Referendums haben, sondern auf lange Sicht auch Moldaus Weg der Demokratie und europäischen Integration bedrohen könnten.


Dr. Nadja Douglas ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS und Teil des KonKoop-Netzwerks, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.