ZOiS Spotlight 3/2025

Wechselnde Loyalitäten: Familien mit Russlandbezug und die Bundestagswahl

Von Félix Krawatzek 12.02.2025

Deutsche Wahlberechtigte mit russischem Migrationshintergrund, die früher eine sichere Bank für die CDU/CSU waren, wenden sich zunehmend der AfD und dem BSW zu. Eine ZOiS-Umfrage zeigt, ob Generationsunterschiede und Russlands Krieg gegen die Ukraine ihre Wahlentscheidung beeinflussen.

Wahlplakate zur Bundestagswahl 2025 von CDU, FDP und SPD in Berlin. IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Bei der Bundestagswahl am 23. Februar haben 12 Prozent der Wahlberechtigten eine Migrationsbiografie. Im Jahr 2013 waren es noch 9 Prozent. Die größte Minderheit unter den Wähler*innen mit Migrationsbiografie bilden jene aus der Russischen Föderation und anderen ehemaligen Sowjetstaaten.

Eine Mehrgenerationenbefragung, die im Rahmen des MoveMeRU-Projekts im Sommer 2024 durchgeführt wurde, liefert Erkenntnisse über die politischen Einstellungen und Wahlabsichten von Menschen mit Russlandhintergrund in Deutschland. Unser besonderes Interesse galt den Interaktionen zwischen jungen Erwachsenen, die in Deutschland sozialisiert wurden, und Eltern, die in (Sowjet-)Russland aufgewachsen sind. [1] Die Befragung wurde durch zahlreiche Fokusgruppen und Tiefeninterviews ergänzt.

Geringe Unterstützung für CDU/CSU, SPD und Grüne

Mehrere Umfragen zeigen, dass Migrant*innen aus postsowjetischen Ländern weniger zur SPD, den Grünen und der FDP tendieren als solche aus anderen Ländern oder die nicht migrierte deutsche Bevölkerung. Im Gegensatz dazu war die Unterstützung für die CDU/CSU bei Menschen mit postsowjetischem Migrationshintergrund lange Zeit hoch. Bei der Bundestagswahl 2002 unterstützten mehr als 70 Prozent der eingebürgerten Wähler*innen aus einem ehemaligen Sowjetstaat die CDU/CSU. Dies lag in erster Linie daran, dass die CDU/CSU sich für die „Rückkehr“ der ethnischen Deutschen aussprach. Doch schon vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine hatte die Unterstützung dieser Bevölkerungsgruppe für die Christdemokraten deutlich nachgelassen. Im aktuellen Wahlprogramm bekräftigt die CDU/CSU erneut ihr Bekenntnis zu Sanktionen gegen Russland und betont, Putin müsse „einen hohen wirtschaftlichen Preis zahlen“. Dies steht im Widerspruch zur Ansicht eines beträchtlichen Teils der Menschen mit russischem Hintergrund, dass Russland nicht allein für den Krieg verantwortlich ist. Und während die Partei ihre Solidarität mit der belarusischen Opposition zum Ausdruck bringt, wird die russischen Opposition nicht erwähnt. Die CDU-Abgeordnete Albina Nazarenus-Vetter wies auf diese Schwachstelle hin und betonte, dass die Partei das verlorene Vertrauen unter den „Aussiedlern und Spätaussiedlern“ wiederherstellen müsse. [2]

Die noch regierende SPD nimmt eine vorsichtigere Haltung zum Krieg gegen die Ukraine ein. Diese Zurückhaltung ist Ausdruck der innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die „Ostpolitik“ der Partei neu formuliert werden soll, die historisch darauf abzielte, die europäische Sicherheit mit Russland zu erreichen, sowie der Angst vor einer direkten Konfrontation zwischen Russland und er NATO. Das Wahlprogramm der SPD verweist auf die Notwendigkeit direkter Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine, um den Krieg zu beenden, und betont gleichzeitig, dass ein russischer Diktatfrieden inakzeptabel wäre.

Wie unsere Umfrage ebenfalls zeigt, ist es unwahrscheinlich, dass die Grünen bei den Deutschen mit russischem Migrationshintergrund gut abschneiden. Sie haben sich sehr deutlich für die Ukraine ausgesprochen und Russland verurteilt. Im Wahlprogramm der Partei wird Putins Russland als „größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa“ bezeichnet, während gleichzeitig denjenigen Russ*innen die Hand gereicht wird, „die sich für ein Ende des Krieges, für Frieden und Freiheit einsetzen“.

Die Beliebtheit von AfD und BSW

Im Gegensatz zu den Grünen enthält das Parteiprogramm der Alternative für Deutschland (AfD) Forderungen, die von Teilen der Wählerschaft mit postsowjetischem Hintergrund geteilt werden. So fordert die AfD ein Ende der Sanktionen gegen Russland und die Reparatur von Nord Stream 2 und behauptet, dass die europäische Sicherheit nur durch eine Zusammenarbeit mit Russland gewährleistet werden kann. Darüber hinaus haben mehrere AfD-Abgeordnete familiäre Bindungen zu ehemaligen Sowjetstaaten. Zu ihnen gehört, Eugen Schmidt, der sich damit gebrüstet hat: „Wir sind die Stammpartei der Russlanddeutschen!“ Im Oktober 2024 forderten AfD-Abgeordnete außerdem die Errichtung eines Denkmals zum Gedenken an die „Verfolgung und Deportation der Russlanddeutschen“.

In Übereinstimmung mit früheren Studien zeigen unsere Umfragen, dass die Unterstützung für die AfD bei Menschen mit russischem Migrationshintergrund fast doppelt so hoch ist wie in der Gesamtbevölkerung. Von uns durchgeführte Interviews bestätigen außerdem, dass die AfD von einem stark mediatisierten Gefühl der Unsicherheit, Gegenreaktionen auf Entwicklungen im Bereich Gender und Sexualität und den Standpunkten anderer Parteien zu Russland profitiert.

Die Lieblingspartei des Kremls dürfte das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sein. Wagenknecht erhält positive (und häufige) Medienberichterstattung in staatsnahen russischen Medien, die ihre Kritik an den gestiegenen deutschen Militärausgaben wiederholen. Das Parteiprogramm fordert „ehrliche Bemühungen“ um einen Waffenstillstand in der Ukraine, die auf den diplomatischen Bemühungen Chinas und des Globalen Südens aufbauen. Und Wagenknecht warnt regelmäßig davor, dass eine direkte deutsche Beteiligung am Krieg zum Dritten Weltkrieg führen würde. Deutsche mit Russlandbezug unterstützen das BSW mit fast dreimal höherer Wahrscheinlichkeit als die allgemeine Bevölkerung. Auch das linksgerichtete Wirtschaftsprogramm der Partei findet bei einem Teil der in (Sowjet-)Russland sozialisierten Menschen Anklang.

Wenn der Apfel nicht weit vom Stamm fällt

Unsere Umfrage befasste sich auch mit der „Familienkonvergenz“, also der Ähnlichkeit politischer Ansichten und Wahlmuster zwischen Generationen. Junge Erwachsene und ihre Eltern haben am ehesten ähnliche politische Präferenzen, wenn sie konservative Parteien unterstützen – unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht. In unserer Umfrage haben zwei Drittel der Kinder, die die CDU/CSU unterstützen, mindestens einen gleichgesinnten Elternteil. Dies ist bei mehr als der Hälfte der jungen AfD-Anhänger*innen und bei etwa 40 Prozent der jungen SPD-Anhänger*innen der Fall. Bei der AfD ist die Familienkonvergenz besonders hoch, wenn beide Befragten männlich sind oder wenn der junge Erwachsene ein niedriges Bildungsniveau aufweist. Die Konvergenz bei der CDU/CSU ist höher, wenn die Kinder ein hohes Einkommen haben. Bei der Unterstützung der Grünen oder des BSW ist die Konvergenz zwischen den Generationen dagegen deutlich geringer.

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist es bei Kindern von Familien mit russischem Hintergrund weniger wahrscheinlich, dass sie die politischen Präferenzen ihrer Eltern teilen. Diese Kinder werden in der Schule und im Freundeskreis möglicherweise mit politischen Ideen konfrontiert, die den Ansichten ihrer Eltern widersprechen. Als junge Erwachsene mit Russlandbezug gefragt wurden, mit wem sie am ehesten über Politik sprechen, schrieben sie Freund*innen eine deutlich größere Rolle zu als ihre Altersgenoss*innen ohne russischen Hintergrund. Sie gaben auch an, dass ihre Eltern stärker von russischen Staatsmedien beeinflusst seien als sie selbst.

Die vielen Gesichter der zweiten Generation

Während die deutsche Wählerschaft ethnisch vielfältiger geworden ist, hat sich auch die politische Landschaft des Landes deutlich verändert. Wie auch in anderen etablierten Demokratien, in denen die populistische radikale Rechte zunehmend auf dem Vormarsch ist, hat die AfD weiter an Bedeutung gewonnen. Die Frage, wie auf die Sicherheitsbedrohung durch Russland reagiert werden soll, spaltet die Wählerschaft und die Parteien ebenso wie die Themen Migration, innere Sicherheit und die größeren gesellschaftlichen Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte.

Wähler*innen mit Migrationshintergrund aus Russland oder anderen ehemaligen Sowjetstaaten befinden sich oft zwischen den Welten. Unsere Forschung zeigt, dass einige der vom russischen Staat propagierten Werte in dieser Bevölkerungsgruppe, insbesondere bei älteren Menschen, beliebt sind. Angesichts der Bedeutung der Familie für die politische Sozialisation bleibt ein Echo solcher Werte bei den Nachkommen erhalten, auch wenn junge Menschen mit russischem Hintergrund politisch weit weniger mit ihren Eltern übereinstimmen als ihre Altersgenoss*innen in der Allgemeinbevölkerung. Ein Ergebnis, das darauf hindeutet, dass die jungen Menschen in dieser Gemeinschaft zunehmend ebenso vielfältige politische Ansichten haben wie die allgemeine deutschen Wählerschaft.


[1] Von insgesamt 2.080 Befragten gehören 1.230 derselben Familie an. Insgesamt haben 420 einen russischen Hintergrund. Siehe osf.io/nd7zg.

[2] Deutschstämmige Aussiedler*innen aus der Sowjetunion. Spätaussiedler*innen sind diejenigen, die nach 1993 nach Deutschland kamen.


Dr. Félix Krawatzek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZOiS, wo er den Forschungsschwerpunkt „Jugend und generationeller Wandel“ sowie das ERC-geförderte Projekt „Moving Russia(ns): Weitergabe von Erinnerungen zwischen den Generationen im Ausland und in der Heimat (MoveMeRU)“ leitet.