Weltklimakonferenz in Baku: Aserbaidschans Drahtseilakt um globale Anerkennung
Viele Augen richten sich derzeit nach Aserbaidschan. Zwei Wochen lang wird dort um Lösungen für die Klimakrise gerungen. Das autoritäre Regime in Baku sieht das Event als Chance, sich der Welt als Hochglanzstaat zu präsentieren. Die eigene Bevölkerung kämpft indes mit den Schattenseiten.
Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.
In den vergangenen Monaten stand Aserbaidschan immer wieder im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit und Kritik. Grund hierfür ist die UN-Klimakonferenz (COP 29), die heute beginnt und bis zum 22. November in der Landeshauptstadt Baku stattfindet. Mehr als 35.000 internationale Teilnehmer*innen werden erwartet. Für den Petro-Staat, der 92 Prozent seiner Exporteinnahmen durch Gas und Öl erwirtschaftet und nur schwache politische Maßnahmen gegen klimatische Veränderungen und für eine nachhaltige Entwicklung ergriffen hat, stellt die Ausrichtung der COP 29 eine Herausforderung dar. Denn immerhin handelt es sich um eine der zentralen politischen Konferenzen für internationale Klimapolitik. Für Aserbaidschan ist sie außerdem die bedeutendste internationale Veranstaltung, die seit 1991 im Land stattfindet. Die autoritäre Regierung möchte die Konferenz deshalb als Gelegenheit nutzen, ihr internationales Ansehen zu steigern und künftige wirtschaftliche Entwicklung zu stimulieren.
Das ambitionierte Ziel von Präsident Ilham Alijew ist es, zu zeigen, dass Aserbaidschan auf der Weltbühne bestehen kann – und das nicht nur für die nächsten zwei Wochen. Für ihn ist die Veranstaltung eine Chance, Aserbaidschans „schlechten“ Ruf als korrupter, autokratischer Staat, der die Menschenrechte mit Füßen tritt, aufzupolieren und sich als moderner Staat mit einer stabilen Regierung und als verlässlicher Partner auf dem krisengeplagten eurasischen Kontinent zu präsentieren. Seit Beginn des umfassenden Kriegs Russlands gegen die Ukraine ist Aserbaidschan ihm Rahmen der europäischen Energiewende als Gaslieferant eingesprungen, was zu mancher Kritik an der Menschenrechtslage im Land und Europas Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen geführt hat.
Für die herrschende Dynastie von Präsident Alijew und seiner Familie, die es geschafft hat, ihre Popularität innerhalb Aserbaidschans zu steigern, nachdem sie die Kontrolle über die Gebiete Bergkarabachs im September 2023 militärisch wiedererlangt hat, stellt die Konferenz eine weitere Gelegenheit dar, ihre politische und wirtschaftliche Macht zu festigen. Die vorgezogenen Parlamentswahlen im Februar 2024 unterstrichen das Machtmonopol der Familie und bekräftigten den Status der herrschenden Partei Neues Aserbaidschan.
Was die Veranstaltung für die Einwohner*innen Bakus bedeutet
Aserbaidschans Aufstieg zu einem internationalen Akteur hat sich nicht nur auf das politische Klima in Baku, sondern auch auf seine bauliche Umgebung und die Überwachung des städtischen Lebens ausgewirkt. Über das letzte Jahrzehnt hinweg hat sich Baku sichtbar verändert. Das Stadtbild ähnelt nun immer mehr dem angestrebten städtebaulichen Modell eines neuen „Dubai“. Nach einem radikalen Prozess der Erneuerung hat Baku sich von einer peripheren sozialistischen Stadt „im sowjetischen Süden“ zu einer neoliberalen und regionalen Metropole am Kaspischen Meer entwickelt, die das ambitionierte Ziel verfolgt, zu einem Verkehrs- und Wirtschaftszentrum am Kreuzungspunkt von Mittlerem Korridor und Nord-Süd-Achse zu werden. Bakus internationales Image als „Dubai am Kaspischen Meer“, einer Öl- und Gasstadt mit Luxushotels und spektakulärer Architektur, hat der Stadt, aber auch dem Land als Ganzem, eine neue, schillernde Fassade verliehen. Aserbaidschan möchte den Teilnehmenden der COP 29 Errungenschaften auf „Weltniveau“ präsentieren, die durch Investitionen in eine Vielzahl von kostspieligen Vorzeigeprojekten und den Bau hochwertiger Anlagen wie Flug- und Seehäfen, Promenaden, Shoppingmalls und Kongresszentren für Großveranstaltungen möglich gemacht wurden. Die Hauptstadt verfügt über Anbindungen an 70 internationale Flughäfen mit Direktflügen in so bedeutende Städte wie London, Moskau, New York, Tel Aviv, Neu-Delhi, Frankfurt und Brüssel.
Diese neuesten Entwicklungen haben das Erscheinungsbild der Stadt auf beeindruckende Weise verändert. Die Vorzüge des Wohlstands, den das Öl gebracht hat, bekommen jedoch nur einige wenige zu spüren. Der autokratische Staat, der Finanz- und der Immobiliensektor kontrollieren das städtische Leben. Die Schattenseiten dieser Transformation der letzten zwei Jahrzehnte sind ein abrupter sozialer Wandel, eine rasche Privatisierungswelle mit traumatischen Folgen, staatlich gelenkte Gentrifizierung und eine verfehlte Stadtpolitik ohne wirklichen Masterplan. Die Folge davon sind gesellschaftliche Polarisierung, soziale Ungerechtigkeit und der Abriss alter Nachbarschaftsstrukturen und historischer Wohngebiete. Bezahlbarer Wohnraum in zentralen Stadtteilen und öffentliche Erholungsorte wie Parks und kleinere Grünflächen sind deutlich zurückgegangen, was das städtische Gemeinschaftsgefüge bedroht. Hinter den großen Veranstaltungshallen, Einkaufszentren, Stadien und smarten Wohnanlagen liegen tiefere Probleme verborgen, über die nur selten gesprochen wird, und wahrscheinlich wird aus diesen „glänzenden“ Bauten kaum mehr werden als kostspielige „weiße Elefanten“ mit hohen Instandhaltungskosten und einer ungewissen Zukunft.
Für die Zeit des Klimagipfels verhängen die Behörden strenge Sicherheitsmaßnahmen, die mit massiver digitaler Überwachung und mit Mobilitätseinschränkungen für gewöhnliche Bürger*innen innerhalb der Stadt einhergehen. Der Zugang zur Stadt ist auf ein Minimum reduziert, was an die strikten Regeln erinnert, die während des Covid-19-Lockdowns galten. Vom 8. bis 25. November wird es drei Wochen außerplanmäßige Schulferien, Onlineunterricht an den Universitäten, Home-Office-Pflicht für 70 Prozent aller staatlichen Beamt*innen, Einschränkungen des Gebrauchs alter Autos und Schließungen zentraler Straßen und Promenaden für private Autos und Busse geben. Zwei Wochen vor der COP 29 verkündete deren Geschäftsführer Elnur Soltanow jedoch, dass die Behörden nicht vorhätten, Anwohner*innen während des Klimagipfels irgendwelche Ausgangsbeschränkungen aufzuerlegen oder zu diesem Zweck Genehmigungen per SMS auszustellen. Wie bei früheren Großveranstaltungen werden jedoch nur Aserbaidschans wirtschaftliche und politische Elite, wohlhabende Bürger*innen und internationale Gäste Zugang zur COP 29 besitzen.
Aserbaidschans geopolitische Zukunftsvisionen
Alijew sendet ein Signal an die westliche Welt und ist bestrebt, internationale Verbindungen gen Westen aufzubauen. Gleichzeitig wahrt er aber freundschaftliche Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Aserbaidschans bei seiner Entscheidung unterstützte, Gastgeber der COP 29 zu werden. Nach der Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens durch Russland und Aserbaidschan im Februar 2022, das gemeinsame außenpolitische Positionen formulierte, führte Putins offizieller Besuch in Aserbaidschan im August 2024 zu weiteren Vereinbarungen in den Bereichen Handel, spezielle Sicherheitsdienste, Infrastruktur, Gesundheit und Bildung, einschließlich der Förderung der russischen Sprache als Zweitsprache in Schulen und der Gründung russischer Universitäten in Aserbaidschan.
Um Aserbaidschans Status als Verkehrsknotenpunkt zu stärken, hat Alijews Regierung zudem Milliarden von Dollar in einen neuen Hafen 60 Kilometer südlich von Baku investiert, der den Transport von Waren aus China nach Europa entlang des Mittleren Korridors, einer im Entstehen begriffenen transkaspischen Landverbindung, die Russland umgeht, sowie entlang der Nord-Süd-Achse von Moskau nach Neu-Delhi vereinfachen wird. Aserbaidschan vertieft auch seine Beziehungen zu China in den Bereichen Energie und Handel. Als ein Partner Chinas im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“ (BRI, Belt and Road Initiative) erhofft sich Aserbaidschan, seine strategische Position im Südkaukasus als Brücke nach Zentralasien auszubauen, was für neue Investitionen in die heimische Wirtschaft sorgen sollte.
Die nach mehreren Seiten strebende Politik des autoritären Regimes, die neoliberale Wirtschaft und ein autokratischer Urbanismus werden Aserbaidschans nähere Zukunft beherrschen und wenig Raum für soziale Projekte, freie Medien oder die Zivilgesellschaft lassen. Die COP 29 könnte jedoch zu mancherlei Veränderung bei der Gestaltung regionaler Klimapolitik führen und die wachsende Bedeutung des Südkaukasus in der globalen Arena unterstreichen.
Tsypylma Darieva ist Sozialanthropologin und Senior Researcher am ZOiS, wo sie den Forschungsschwerpunkt „Migration und Diversität“ leitet.