ZOiS Spotlight 7/2025

Wie Kriegstraumata politische Einstellungen in der Ukraine beeinflussen

Von Maksym Obrizan 09.04.2025

Umfragedaten zeigen, dass Ukrainer*innen, die während des Krieges mit Russland persönliche Verluste und schwere Not erlitten haben, eher militärische Lösungen unterstützen, während diejenigen, die weniger stark beeinträchtigt waren, offener für diplomatische Wege zur Rückgabe der besetzten Gebiete der Ukraine sind.

Eine Frau mit ihrem Sohn in einem durch einen russischen Drohnenangriff zerstörten Wohnkomplex in Dnipro, Ukraine. IMAGO / Ukrinform

Die vollumfängliche russische Invasion im Jahr 2022 hat die politische Landschaft in der Ukraine neu gestaltet und eine beispiellose Einheit in der Bevölkerung und sogar unter politischen Akteur*innen geschaffen, die traditionell gegeneinander eingestellt waren. Prominente Politiker*innen, darunter die ehemaligen Präsidentschaftskandidat*innen Petro Poroschenko und Julia Timoschenko, sind sich öffentlich einig, dass die Abhaltung von Wahlen während eines Krieges unpraktisch und gefährlich ist.

Wahlen unter diesen Umständen würden nur dem Ziel des Kremls dienen, die innere Spaltung und Instabilität zu fördern. Dies könnte den Weg für eine prorussische Marionettenregierung ebnen, die durch intensive Propaganda in den sozialen Medien unterstützt wird – ein Szenario, das in Ungarn, Georgien und der Slowakei zu beobachten war und bei den abgebrochenen Präsidentschaftswahlen 2024 in Rumänien nur knapp vermieden werden konnte.

Historische Präzedenzfälle unterstreichen die Bedeutung von politischer Einheit. Vom Kosaken-Hetmanat bis zu den turbulenten Jahren 1918–1922 litt die Ukraine wiederholt unter internen Spaltungen, die von Moskau ausgenutzt wurden. Diese Lektion scheint weit verbreitet zu sein: Heute erkennen die Ukrainer*innen mehrheitlich die Notwendigkeit an, demokratisch gewählte Behörden als Teil eines widerstandsfähigen Staates zu unterstützen, der seine Souveränität und seine Bürger*innen verteidigt. Die ersten Aufgaben bestehen darin, einen stabilen Frieden mit verlässlichen Sicherheitsgarantien zu schaffen und russische Kriegsverbrecher strafrechtlich zu verfolgen. Erst dann werden die Ukrainer*innen – und nicht der russische Präsident Wladimir Putin oder sonst jemand – entscheiden, wann und wie Wahlen stattfinden.

Herausforderungen bei der Meinungsforschung in Kriegszeiten

Ein Forschungsprojekt des Kompetenznetzwerks Interdisziplinäre Ukrainestudien (KIU) untersucht, wie sich Kriegsgewalt auf die politischen Präferenzen der Ukrainer*innen auswirkt, einschließlich ihrer Wahlbeteiligung und ihrer Einstellung zu einem stabilen Frieden. Für dieses Projekt wurden Ende 2024 im Rahmen einer Omnibus-Umfrage des Kyiv International Institute of Sociology, eines der ältesten und renommiertesten Meinungsforschungsinstitute der Ukraine, 2.000 Ukrainer*innen befragt.

Die Durchführung zuverlässiger Meinungsumfragen in Kriegszeiten ist mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Die massive Migration erschwert die Genauigkeit von Umfragen; Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflohen, während andere sich in den von Russland besetzten Gebieten aufhalten oder nach Russland deportiert wurden, wo ihre Meinungsfreiheit durch einen äußerst repressiven Polizeistaat eingeschränkt ist. Trotz dieser Einschränkungen bleiben Meinungsumfragen unverzichtbar, um die Ansichten der in der Ukraine verbliebenen Menschen zu verstehen. Die Verwendung von Meinungsumfragen, die auf Daten aus dem Jahr 2021 basieren, trägt dazu bei, einige dieser Herausforderungen zu verringern.

Öffentliche Meinung zur Wiederherstellung der Grenzen der Ukraine von 1991

Die Umfragedaten zeigen eine differenzierte öffentliche Haltung zum Krieg und zu möglichen Friedensverhandlungen. Den Befragten wurden zwei Fragen gestellt: Erstens, sollte die Ukraine ohne Vorbedingungen an Friedensgesprächen teilnehmen? Und zweitens, sollte sie weiterkämpfen, bis sie ihre Grenzen von 1991 einschließlich der Krim und des Donbas wiederhergestellt hat? Es ist klar, dass die Ukrainer*innen die Besetzung ihres Territoriums durch Russland niemals akzeptieren werden, aber die Frage ist, wie die Wiederherstellung der Grenzen von 1991 erreicht werden kann.

Die Ergebnisse sind komplex: 41 Prozent der Befragten lehnten bedingungslose Friedensgespräche ab, waren aber auch gegen eine militärische Befreiung aller Gebiete und bevorzugten wahrscheinlich diplomatische und politische Lösungen. 26 Prozent sprachen sich entschieden dafür aus, weiter zu kämpfen, bis die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist, und lehnten einen Frieden ohne Vorbedingungen ab.

Im Gegensatz dazu sprachen sich 22 Prozent für bedingungslose Verhandlungen aus, lehnten weitere Kämpfe ab und betonten stattdessen, die Rückgabe der seit 2014 von Russland besetzten Gebiete müsse auf politischem oder diplomatischem Wege erfolgen. Eine kleinere Gruppe, 11 Prozent, unterstützte paradoxerweise sowohl bedingungslose Verhandlungen als auch weitere Kampfhandlungen, was auf Unsicherheit oder gemischte Ansichten über Konfliktlösungsstrategien hindeutet.

Diese Verteilung verdeutlicht die differenzierten Meinungen der Ukrainer*innen zur Konfliktlösung in einem Land, das trotz der russischen Aggression demokratisch und offen für unterschiedliche Ansichten bleibt.

Erfahrungen mit Kriegsgewalt und politische Präferenzen

Die Studie untersuchte insbesondere, wie persönliche Erfahrungen mit Gewalt und Leid die politische Meinung und das Wahlverhalten beeinflussen. Die vorläufigen Ergebnisse zeigen etwas überraschend, dass die Konfrontation mit Gewalt während des Krieges keinen signifikanten Einfluss auf die Wahlbeteiligung oder das Wahlverhalten hat.

Direkte persönliche Verluste prägen jedoch die Ansichten zur Konfliktlösung erheblich. Befragte, die Angehörige oder enge Bekannte durch die russische Aggression verloren hatten, waren wesentlich weniger geneigt (um etwa 10 Prozentpunkte), bedingungslose Friedensgespräche zu unterstützen, und eher bereit (um etwa 7 Prozentpunkte), die militärische Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine zu befürworten.

Ebenso waren Befragte, die große Unannehmlichkeiten erlebt hatten, darunter lebensbedrohliche Engpässe bei unentbehrlichen Ressourcen wie Lebensmitteln und medizinischer Versorgung, etwa 11 Prozentpunkte weniger geneigt, Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen zu unterstützen.

Im Gegensatz dazu korrelierten kleinere Unannehmlichkeiten wie Stromausfälle, die in der Ukraine weit verbreitet sind, mit einer größeren Offenheit für bedingungslose Verhandlungen und einer geringeren Unterstützung für weitere Militäraktionen zur Befreiung aller seit 2014 besetzten Gebiete der Ukraine. Binnenvertriebene zeigten weniger Unterstützung für militärische Lösungen, was wahrscheinlich eine Präferenz für diplomatische Mittel oder einen erhöhten Sanktionsdruck zur Wiederherstellung der Grenzen der Ukraine von 1991 widerspiegelt.

Verteidigung der Ukraine oder Verteidigung Europas?

Während Russland Kriegsverbrechen begeht, indem es Zivilist*innen tötet, vergewaltigt und foltert, Kinder einer Gehirnwäsche unterzieht und nationale Identitäten auslöscht, sind die Ukrainer*innen weit davon entfernt, sich zu ergeben. Sie sind entschlossen, für ihre Freiheit und die Freiheit Europas zu kämpfen. Doch wenn die Ukraine scheitert, wird Russland zu einer noch größeren und direkteren Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in Europa.

Die Menschen in Budapest 1956, Prag 1968, Tiflis 1989, Vilnius 1991 und auf der Krim und im Donbas 2014 wurden alle Zeug*innen von Russlands Muster der gewaltsamen Einmischung, das demokratische Bestrebungen in ganz Osteuropa wiederholt niedergeschlagen hat.

Angesichts des aggressiven Imperialismus Russlands ist den meisten Ukrainer*innen klar, dass man dem Kreml nicht trauen und sich nicht auf ein Friedensabkommen verlassen kann. Russland wird seine Nachbarn weiter angreifen, solange es genug Geld aus Öl- und Gasexporten einnimmt. Daher ist es wichtig, dass die freien Nationen Europas ihre Unterstützung für die Ukraine in ihrem Kampf für Frieden und Wohlstand in ganz Europa verstärken.


Dr. Maksym Obrizan ist außerordentlicher Professor an der Kyiv School of Economics und Non-Resident Fellow im Kompetenznetzwerk Interdisziplinäre Ukrainestudien Frankfurt (Oder) – Berlin (KIU).