Von Schriften und Schreibenden aus Georgien
„Georgia – Made by Characters“ lautet der Slogan, unter dem sich der diesjährige Ehrengast Georgien auf der Frankfurter Buchmesse vorstellt. Das Motto spielt mit der Doppelbedeutung des Wortes „character“ und nimmt zum einen das einzigartige Alphabet Georgiens in den Blick, das 2016 in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurde, zum anderen diejenigen, die aus diesen Buchstaben literarische Welten schaffen, die Autor*innen.
Die kunstvollen Buchstaben der Mchedruli-Schrift dominieren die Gestaltung des georgischen Pavillons auf der Buchmesse und der Werbematerialien für den deutschen Buchhandel. Anschauen kann man sich die 33 Buchstaben des georgischen Alphabets auch in einem animierten Kurzfilm auf einer eigens für die Buchmesse eingerichteten Homepage. Die 33 Buchstaben werden genutzt, um für Georgien und seine Geschichte wichtige Personen, Ereignisse, Regionen und Artefakte vorzustellen, und darüber das Bild eines modernen, ja hippen Landes mit großem Traditionsbewusstsein zu entwerfen. Was auf den ersten Blick wie eine originelle Kampagne der georgischen Touristeninformation wirkt, hat durchaus politische Komponenten. So wird über den Buchstaben ე [ɛ] der Fluss Enguri vorgestellt, der in einer „spektakulären Region Georgiens fließt – Abchasien, die derzeit von Russland besetzt ist“. Der eingefrorene Konflikt um die territoriale Zugehörigkeit Abchasiens findet somit Eingang in diesen ansonsten gutgelaunten PR-Auftritt. Auch die sowjetische Vergangenheit des Landes wird in dem Clip thematisiert: Über den Buchstaben ჯ [dʒ] wird die „Jeansgeneration“ eingeführt, „eine Generation von Georgiern, die Jeans als Protest gegen das Sowjet-Regime trug“. Betont werden die – zweifelsohne vorhandenen – dissidentischen Strömungen des Landes zu Sowjetzeiten. Ein Werbevideo ist aber wohl auch nicht der Ort für eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle, die georgische Akteur*innen in der Sowjetunion einnahmen.
Haratischwili als Botschafterin des literarischen Georgiens
Zu den Charakteren, mit denen sich Georgien auf der Buchmesse präsentiert, gehört neben den etwa 70 Autor*innen, die aus Georgien anreisen, auch Nino Haratischwili. Die in Hamburg lebende Autorin und Dramatikerin avancierte nach der Veröffentlichung ihres Romans „Das achte Leben (Für Brilka)“ (2014) zu einer Art Botschafterin (des literarischen) Georgiens in Deutschland. Dabei entstanden sowohl „Brilka“ als auch die Vorgängerromane „Juja“ (2010) und „Mein sanfter Zwilling“ (2011) in deutscher Sprache; erst nachträglich wurden sie ins Georgische übersetzt. Ihr Bekanntheitsgrad dürfte in Deutschland wesentlich höher sein als in ihrem Herkunftsland.
Mit ihrem jüngsten Roman „Die Katze und der General“ (2018) schaffte Haratischwili es bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Die Verleihung des Preises wäre wohl das Tüpfelchen auf dem i für den Auftritt Georgiens auf der Buchmesse gewesen, hatte man Haratischwili doch kräftig für dessen Bewerbung eingebunden. Dass es nun nicht gereicht hat, ist wohl auch auf die spezifische Thematik des Romans zurückzuführen: „Die Katze und der General“ erzählt die Geschichte von Alexander Orlow, der als russischer Soldat im Ersten Tschetschenienkrieg (1994 bis 1996) an der Vergewaltigung und Ermordung der jungen Tschetschenin Nura beteiligt ist. Von dieser Tat in seinen moralischen Grundfesten erschüttert, aber auch von allen Ängsten befreit, steigt Orlow, nun General genannt, in den Folgejahren zu einem der reichsten Männer Russlands auf. Die Vergangenheit holt den Oligarchen ein, als sich seine Tochter Ada, die von der Ermordung der jungen Frau erfahren hat, das Leben nimmt. Als er in Berlin auf Katze trifft, eine georgischstämmige Schauspielerin, die der ermordeten Nura zum Verwechseln ähnlichsieht, beschließt er, die an der Ermordung Beteiligten zur Rechenschaft zu ziehen.
Politische Romane unter den Neuerscheinungen
Haratischwili arbeitet wie schon in ihren Vorgängerromanen mit wechselnden Erzählerfiguren und Erzählperspektiven, mit zahlreichen Rückblenden und Ortswechseln. Erst ganz am Schluss des Romans fügen sich die dadurch entstehenden einzelnen Fäden zu einem Gewebe zusammen, aus dem ein – überraschendes – Bild entsteht. Mit der Verlegung des Romanfinales nach Tschetschenien im Jahr 2016 begibt sich Haratischwili auf in der Gegenwartsliteratur weitgehend unbekanntes Terrain. Die Schilderung der tschetschenischen Umwelt nimmt nur wenige Seiten ein, reicht aber aus, um wesentliche Konfliktlinien der autoritär regierten autonomen Republik offenzulegen: Die Auslöschung jeglicher Erinnerung an den Krieg, die zunehmende Islamisierung des Alltags, der Personenkult um, wie es im Roman heißt, die „heilige Dreifaltigkeit“, Ramsan Kadyrow, seinen ermordeten Vater und den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Mit „Die Katze und der General“ hat Haratischwili nach „Brilka“ ihren zweiten politischen Roman geschrieben. Während sie sich in „Brilka“, das anhand des Schicksals einer georgischen Familie die Geschichte des sowjetisch-georgischen 20. Jahrhunderts erzählt, vor allem auf die Opferperspektive konzentriert, sind es in ihrem neuen Roman die Täter, die in den Fokus rücken. Dabei geht es um die klassische Frage großer Romane: um Schuld und Sühne, Verbrechen und Strafe. Auf der Buchmesse befindet sich Haratischwili mit diesem Roman in bester Gesellschaft. Unter den weit über 100 Neuerscheinungen georgischer Autor*innen, finden sich zahlreiche politische Romane, die das georgische Patriarchat ebenso verhandeln wie die Korruption in der Wendezeit, die Gewaltausbrüche der 1990er Jahre und der fortdauernde Konflikt um Abchasien. Die zeitgenössische georgische Literatur ist damit eine der politischsten Literaturen im postsowjetischen Raum. Auf der Frankfurter Buchmesse kann man sich davon ein Bild machen.
Nina Frieß ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS. In ihrem aktuellen Projekt beschäftigt sie sich mit Literatur und Macht im postsowjetischen Raum.