Konfliktdynamiken und Grenzregionen
Mit der Desintegration der Sowjetunion sind neben den fünfzehn Nachfolgestaaten auch eine Reihe von De-facto-Staaten entstanden. Zugleich wurden durchlässigere Grenzen zwischen Sowjetrepubliken zu zwischenstaatlichen Grenzen. Diese Veränderungen haben das Zusammenleben in der Region grundlegend verändert. Zuletzt haben die Ereignisse in der Ukraine gezeigt, dass sich die nach 1991 entstandene territoriale Ordnung im postsowjetischen Raum als instabiler erwiesen hat als bisher angenommen. Für Bewohner*innen der Regionen, aber auch für regionale, nationale und internationale Akteure sind neue politische Realitäten entstanden.
Der Forschungsschwerpunkt widmet sich den lokalen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren und Strukturen, die von Konflikten betroffen sind und deren weitere Entwicklung mitbestimmen. Hierzu gehören die aus einer Konfliktregion Geflüchteten, die Bevölkerung der umstrittenen Regionen sowie lokale Entscheidungsträger. Es werden die vielfältigen und sich verändernden Interaktionen lokaler und externer Akteure in den Blick genommen, die Konfliktursachen und -regulierung, die sozialräumliche Dynamik, die Handlungspraktiken der betroffenen Bevölkerung und deren Wirkmächtigkeit untersucht.
Von besonderem Interesse sind die vielfältigen neuen und alten territorialen Ordnungen, die mit Veränderungen von Grenzen verbunden sind. Sie reichen von ungeklärten Grenzziehungen bis hin zu Veränderungen durch Beitritt zu oder Assoziierung mit Wirtschafts- und/oder politischen Verbünden. Dies löst Unsicherheiten über Erwartungen an individuelle und gesellschaftliche ökonomische, soziale und politische Zukünfte und damit verbundener sozialer und räumlicher Mobilität aus. Andauernde Prozesse der Nationsbildung in den neu entstandenen postsowjetischen Staaten erzeugen zusätzliche Spannungen.